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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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hoch, dass er und der Zwerg aufrecht stehen konnten. Gorbaz und selbst Gilfalas mussten sich bücken, um nicht mit dem Kopf gegen die Decke zu stoßen. Irgendwo in der Ferne schimmerte Licht, ein hellerer Halbkreis, in der Richtung, in die das Wasser rann. Dort musste der Fluss sein.
    Etwas Kleines, Pelziges huschte mit eine Quieken vorbei, und Aldo stieß einen unterdrückten Schrei aus.
    »Nur eine Ratte«, knurrte Gorbaz.
    Nur eine Ratte? Als ob das kein Grund zur Besorgnis wäre? Vielleicht gab es hier Tausende von Ratten, die auf ein geheimes Zeichen über sie herfallen und sie mit ihren Leibern ersticken, sie mit ihren winzigen, nadelscharfen Zähnen zerfetzen würden, bis nichts mehr von ihnen allen übrig blieb, keine Haut, kein Fleisch, nur noch abgenagte Knochen. Aldo sah es so deutlich vor Augen, dass er nicht einmal mehr schreien konnte; es schnürte ihm den Hals zu, und der Gestank der Kloake, der ihm in die Nase stieg, ließ ihn würgen.
    »Wo bleibt er?«, meinte Burin. »Was hält ihn auf?«
    In diesem Augenblick gab es ein großes Gepolter von oben, und Talmond kam durch den Schacht geschossen. Er fiel mehr, als dass er kletterte, doch sein dicker Bauch bremste seinen Fall. Einen Augenblick sah es so aus, als würde auch er an der engsten Stelle feststecken, wie Gorbaz vor ihm, aber dann strampelte er mit den Beinen und wand und drehte sich, bis er freikam und mit einem lauten Aufplatschen in der Rinne landete.
    »Igitt«, sagte Gilfalas und wischte sich die Jauche aus den Augen.
    Über ihnen schlug die Falltür mit einem dumpfen Aufprall zu.
    »Was ist?«, meinte Talmond. »Worauf wartet Ihr? Auf geht’s!«
    Mit schmatzenden Schritten wühlte er sich seinen Weg durch den Unrat, als sei er hier zu Hause. Die anderen folgten ihm; sie hatten schließlich keine andere Wahl.
    Die wenigen hundert Schritt, die bis zum Ende des Tunnels zurückzulegen waren, sollten in Aldos Erinnerung als das Schlimmste haften bleiben, was er je in seinem Leben erduldet hatte. Nicht die Kerker der Schwarzen Legion, nicht die Wanderung durch die Öde, nicht einmal die Schrecken der Finsternis reichten an dieses kurze Stück in der feuchten, wispernden Düsternis heran, umgeben von dem Schmurgeln und Schlürfen des Kanals, dem weichen, undefinierbaren Unrat, der in der gluckernden Brühe trieb, dem Pfeifen und Rascheln von unbekanntem Getier, das in der Finsternis lebte. Kein Wesen, so heißt es, kann in seinen eigenen Ausscheidungen leben; hier war es der Kot einer ganzen Stadt, mit dem er, Aldo, selbst ausgeschieden aus der Gesellschaft, dem absoluten Tiefpunkt entgegentrieb. Aldo hatte das Gefühl, als saugten seine Kleider sich voll mit der fauligen, korrosiven Luft, als füllten seine Poren sich mit einer klebrigen Masse, als würde er selbst Bestandteil des Unrats, der ihn umgab.
    Dann trat er aus der Mündung des Kanals heraus; blendende Helle umgab ihn, und frische, süße Luft und ungeahnte Düfte drangen in seine Lunge.
    Sie waren ein Stück weiter unterhalb der Stelle ausgekommen, wo sie zuvor bei Morgenanbruch den unwilligen Helden ausgenüchtert hatten. Büsche und Bäume, die bis fast zur Uferbank hinab wuchsen, spendeten Schutz und Deckung vor wachsamen Blicken. Gilfalas lag auf dem Kieselbett; sein Gesicht war noch bleicher als sonst, und seine Brust hob und senkte sich in raschen Atemzügen. Burin hockte neben ihm; auch er schien vor allem zunächst einmal froh, der Kloake entronnen zu sein. Nur Talmond stand bereits in den schäumenden Wassern des Flusses und reinigte seine Stiefel und Hosen, wobei er das Gewand über dem mächtigen Bauch zusammenhielt, wo es bei seiner rasenden Abwärtsfahrt zerrissen war.
    Gorbaz war der Letzte, der sich aus der Kanalöffnung quälte. »Das war Scheiße«, knurrte er.
    Aldo hätte es nicht treffender ausdrücken können.
    Er schöpfte Wasser mit beiden Händen aus dem Fluss, um sich das Gesicht zu waschen, wobei er sich wohlweislich oberhalb der Kanalmündung hielt. Den Blick auf die Stelle, wo sich das Rinnsal aus dem Kanal mit dem reinen Wasser des Flusses vermischte und in braunen Schlieren abwärts trieb, vermied er tunlichst.
    Er wusch und putzte sich, bis es nichts mehr zu waschen gab, und hatte dennoch das Gefühl, als hafte ihm der Gestank der Kloake immer noch an. Schließlich richtete er sich auf.
    Talmond von Thurion saß auf der Uferbank, als sei er unschlüssig, was er mit der neu gewonnenen Freiheit anfangen sollte.
    »Was ist nun?«, fragte Aldo. »Wie soll

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