Die Herren der Zeit
es nun weitergehen?«
Der dicke, vierschrötige Mann mit der schwarzen Klappe über dem rechten Auge zuckte die Schultern.
»Es gibt da ein paar Leute in den Wäldern«, sagte er schließlich. »Ein paar frühere Eigner, die von den Schwarzen enteignet worden sind, ein paar Söldner. Sie folgen mir, wenn’s was zu erbeuten gibt. Ihr seid Männer, die auf sich selber aufpassen können, wie mir scheint. Ihr könnt Euch mir anschließen.« Es klang, als sei es ihm ziemlich gleichgültig, ob sie sein Angebot annehmen würden oder nicht. Aber in seiner Stimme lag noch etwas anderes, ein Funke von Hoffnung, dass seine Worte vielleicht doch nicht vergebens sein würden.
Aldo schlug das Herz höher. Das war etwas, worauf er gewartet hatte. »Eine Widerstandsgruppe?«, fragte er eifrig. »Eine Armee von Rebellen? Ihr nehmt von den Reichen und gebt es den Armen? Ist es nicht so?« Also waren die alten Legenden doch nicht nur schöne Märchen gewesen.
Talmond schnaubte durch die Nase. »Das mit dem Nehmen ist schon richtig, aber was das Geben betrifft …« Es klang fast so, als täte es ihm leid. »Du bist mir schon ein komischer Vogel, kleiner Wicht. Gesetzlose, das sind wir, und ich war hier in der Stadt, um einen Teil der Beute zu Gold zu machen, damit wir uns Waffen kaufen können und warme Kleidung. So, jetzt wisst ihr’s. Also, kommt ihr mit oder nicht?«
»Wir werden mit dir gehen, Talmond von Thurion«, sagte da Gilfalas mit seiner klaren Stimme. »So lange, bis wir Gewissheit erlangt haben. Und ich denke, ich weiß, wo uns Gewissheit zuteil werden wird. Und du wirst uns dorthin begleiten.«
K APITEL XI
DIE PRINZESSIN UND DER GNOM
Ringsum war nichts als allumfassende Graue. Nebel lag über der Welt, als könne sie sich nicht entschließen, endlich Gestalt anzunehmen. Formen bildeten sich im Nebel und lösten sich wieder auf, Geistern gleich, gefangen zwischen unstofflichem Gedanken und fester Substanz – unschlüssig, zaudernd, als warteten sie auf ein Wort, das sie ins Sein rufen würde.
Ithúriël ging durch den Nebel. Sie wusste nicht, wie lange sie schon so ging. Sie konnte sich auch nicht erinnern, wie sie hierhergekommen war. Sie erinnerte sich nur an einen Sturz in die Leere und an einen endlos langen Weg, umhüllt von Nebel.
Der Weg wurde steiniger. Wasser, aus dem Nebel gebildet, rann zwischen den Steinen, zu einem Bachlauf geformt. An seinem Rand schimmerte etwas hell, blinkte hier und da und dort hervor.
Sie lagen am Rande des Wassers, ihre Haare waren hell, ihre Glieder schlank und rein, unbefleckt von den Wundmalen des Lebens, welche die Zeit und das Schicksal zeichneten. Ihre Gesichter waren fein geschnitten, mit schmalen, hoch gezogenen Brauen, ihre Wangen hoch, ihre Ohren geschwungen. Es waren Elben. Ihre Augen waren geschlossen.
Im ersten Augenblick glaubte Ithúriël, sie seien tot. Dann sah sie, als sie sich zu einem der Liegenden hinunterbeugte, dass sich seine Brust in flachen, regelmäßigen Atemzügen hob und senkte. Die fein geschnittenen Nasenflügel zitterten. Sie streckte die Hand aus …
»Rühr sie nicht an!«
Die Stimme, leise, fast flüsternd, hallte so laut in der Stille, dass Ithúriël erschrocken zurückzuckte. Sie sah auf. Zuerst erkannte sie nicht, wer da stand. Der Nebel verzerrte seine Gestalt zu grotesken Formen, ließ sie mal groß und mächtig, mal klein und gedrungen erscheinen. Dann lichteten sich die Schwaden ein wenig, und sie sah, dass es Gwrgi war.
»Siehst du es nicht? Sie schlafen!«
Er trat einen Schritt näher heran und breitete die Arme aus, die Handflächen nach außen gestreckt. Er versuchte, die Schultern zu heben, aber es führte nur dazu, dass die Kiemen an seinem kurzen Hals sich blähten und auffalteten wie rote Blumen. Es war grotesk und seltsam schön zugleich.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Dass ich Euch hierhergebracht habe, meine ich. Aber ich konnte nicht anders.«
»Wo sind wir? Wie sind wie hierhergekommen?«
»Zwei Fragen auf einmal.« Er versuchte zu lächeln, aber es wurde mehr ein Grinsen daraus. »Wir kamen durch das Tor von Zarakthrôr; erinnert Ihr Euch nicht? Es hat uns hierhergeführt, an den Anfang der Zeit. Seht, die Welt ist gerade erst dabei, sich zu formen. Die Elben warten darauf, erweckt zu werden. Und die Lilien haben sich noch nicht geöffnet.«
Ihre Augen weiteten sich vor Staunen. Sie sah die Pflanzen, die aus dem Wasser stachen, grüne Sprossen, halb verhüllt vom Dunst. Jetzt wusste sie, wo sie
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