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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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gesehen, einen Schattenfürsten, wie mir scheint. Doch nicht alles, was spitze Ohren hat, ist von Natur aus böse.« Er lächelte, dann zog er Aldo am Ärmel vor und streifte sein Haar zurück. »Seht Ihr? Oder glaubt ihr, dass unser junger Freund hier im Dienste der Finsternis steht?«
    Ilona sah Aldo an, und ihr blasses Gesicht wurde rot. »Es ist nicht recht, dass einer wie er …«, stammelte sie. »Ich meine, in seinem Alter … in einem solchen Haus …«
    Aldo begriff nicht recht, doch als er das Mobiliar des Zimmers mit einem Blick erfasste – eine einzige, schmale Truhe; ein großes, mit einer roten Decke bezogenes Bett; die Gerätschaften, die darüber hingen und über deren Zweck er gar nicht erst spekulieren wollte –, da wurde ihm plötzlich klar, was sie meinte.
    »In einem Hurenhaus?« Talmond schien es als Scherz aufzufassen. »Damit kann man nicht früh genug anfangen!« Er lachte brüllend, mit einem tiefen, dröhnenden Bass.
    »Still!« Nur Burin mit seiner mächtigen Stimme konnte diesen Ausfall noch übertönen. »Horcht!«
    Talmonds Gelächter brach ab, und sie lauschten. Irgendwo im Haus hörte man schwere Tritte. Befehle schallten.
    »Ihr könnt hier nicht bleiben«, sagte die Dirne rasch. »Kommt! Folgt mir! Ich bring Euch hier ’naus.«
    Was immer man über sie sagen mochte, sie war eine entschlossene Frau. Erst öffnete sie die Tür einen Spalt weit; dann, als sie sah, dass die Luft rein war, legte sie den Finger auf die Lippen und trat hinaus auf den Gang.
    Gilfalas huschte ihr auf leisen Sohlen nach. Aldo hielt sich dicht hinter ihm. Die Dielen ächzten unter dem Gewicht der Folgenden: Burin, Talmond und Gorbaz, der wie üblich den Schluss bildete. Doch der Lärm, der aus dem Erdgeschoss heraufdrang, übertönte die Geräusche.
    Der Gang war schmal und lang. Zur Rechten und zur Linken gingen Türen von ihm ab, die mit metallenen Knäufen versehen waren; anscheinend konnten sie alle von innen verriegelt werden. Am Ende des Ganges ging es scharf nach links.
    Als Aldo um die Ecke bog, sah er, wohin der Gang weiterführte. Er zog sich direkt über die Gasse hin; es war jenes freitragende Brückengeschoss, unter dem sie auf ihrer Flucht hindurchgelaufen waren.
    Geduckt rannten sie hinüber. Keiner traute sich, einen Blick durch die Butzenscheiben der Fenster zu werfen; denn ein Schatten dort oben musste jedem auffallen, der zufällig oder mit Absicht hinaufschaute. Das Haus auf der anderen Seite war kleiner als das Bordell; es schien eine Art Wirtschaftsgebäude zu sein. Zu dieser frühen Stunde war es menschenleer.
    Sie kamen an eine hölzerne Treppe, die nach unten führte, und Aldo hatte gerade den unteren Absatz erreicht und wähnte sich schon in Sicherheit, als plötzlich laute Schläge die schwere, eichene Haustür erzittern ließen.
    »Aufmachen!«, brüllte jemand von draußen. »Sofort aufmachen!«
    »Gibt es noch einen anderen Ausgang?«, fragte Burin, an Ilona gewandt.
    Diese hatte erschreckt innegehalten. Sie schüttelte den Kopf. »Nein … das heißt, doch! Kommt mit!«
    Sie riss eine andere Tür auf. Dahinter führte eine gemauerte Stiege hinab.
    In den Keller? Aldo wunderte sich. Wie konnte es aus dem Keller einen Weg in die Freiheit geben? Aber er folgte Gilfalas hinab, im Vertrauen darauf, dass sich auf das Rätsel schon eine Antwort würde finden lassen.
    »Ich kenn diesen Keller!«, brummte hinter ihm eine Stimme.
    Erstaunt wandte Aldo sich um. Burin, der nach ihm die Treppe hinuntergestapft kam, hob entschuldigend die Schultern. Talmond, der ihm unmittelbar folgte, runzelte die Stirn. »Ich habe hier recherchiert«, erklärte Burin. »Zwei Tage lang. Ein Zwerg vergisst nie, wo er einmal gewesen ist.«
    »Aber«, fragte Aldo, während er die letzten beiden Stufen nahm, »wo gibt es denn hier einen Fluchtweg?«
    Burin verzog das Gesicht, als wollte er sagen: Was weiß ich?
    »Einen Augenblick, meine Herren«, kam Ilonas Stimme aus dem Dunkel.
    Funken sprühten auf, und dann erglomm das matte, flackernde Licht einer Kerze. Aldo sah sich erstaunt um. Es war ein geräumiger Vorratskeller; irdene Krüge mit Wein waren an der einen Seite gestapelt, und Horden mit Äpfeln und Gemüsen säumten das zweite Gewölbe. Da gab es große Fässer mit Sauerkohl und Würste und Schinken, die von der Decke hingen. Aldo war zwar nicht selbst in dem Keller des Gebäudes gewesen, wo sie den Zwerg aufgefunden hatten, aber wenn er sich nicht täuschte, waren dort ganz andere Dinge gelagert

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