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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Talmond stemmten sich dagegen. Auch Gilfalas griff zu; Aldo wollte helfen, aber er kam überhaupt nicht mehr zum Zuge.
    Hand über Hand holten sie das Seil ein. Das straff gespannte Tau vibrierte wie eine Bogensaite. Dort, wo es über die Fensterkante schleifte, lösten sich die Fasern. Das Seil, schlecht gedreht, begann zu reißen.
    Gorbaz’ bulliger, behelmter Kopf tauchte über dem Fenstersims auf.
    »Vorsicht!«, schrie Aldo.
    Das Seil schnappte und riss.
    Mit einem letzten Aufbäumen warf Gorbaz die Arme hoch. Seine Finger knallten gegen das Fensterbrett und packten zu. Und was ein Bolg einmal gepackt hat, das lässt er nicht mehr los.
    Innch um Innch, mit schierer Muskelkraft, zog Gorbaz sich hoch. Er hatte die gelben Zähne gebleckt; seine kleinen Augen waren blutunterlaufen. Jetzt war sein Kopf über der Brüstung, schließlich die Schultern. Ein letzter Kraftaufwand, dann verdunkelte sein massiger Oberkörper die Fensteröffnung, und Burin und Gilfalas brauchten ihn nur noch an den Schultern zu packen und hineinzuziehen.
    Der Bolg polterte auf die Bodenbretter. Talmond zog geistesgegenwärtig das Fenster zu. Bis auf das Licht, das durch die Bretterritzen des Ladens drang, war es dunkel im Raum und still. Nur Gorbaz’ schwerer, keuchender Atem war zu hören. Alle lauschten.
    Draußen auf der Gasse hallten Tritte. Stimmen schallten herauf, ungläubig, ja, erschreckt.
    »Wo sind sie …?«
    »… wo? Wo?«
    »… können sich doch nicht …«
    »… in Luft aufgelöst …«
    Aldo überkam ein Kichern. Es stieg aus seinem Innern auf, aus dem Bauch heraus nach oben; der Drang war so unwiderstehlich, dass er es nicht unterdrücken konnte. Er hielt sich die Hände vor den Mund, aber es half nichts. Sein Körper schüttelte sich; es musste heraus.
    »… in Luft … hoch in die Lüfte …«
    »Gemach«, sagte da eine andere Stimme. »Es ist vorbei. Ihr seid in Sicherheit, zumindest für den Augenblick.«
    Licht flammte auf; es war nur der matte Schein einer Blendlaterne, aber nach der plötzlichen Dunkelheit und der Enge des Raumes wirkte er grell. Im Licht der Kerze sah Aldo die Gestalt einer Frau; zuerst wusste er nicht, wer es war, doch dann erkannte er sie. Ohne die dick aufgetragene Schminke, mit der er sie das erste Mal gesehen hatte, war sie geradezu hübsch, nach menschlichen Begriffen. Eine dralle Frau mit einem fülligen Busen und müden Augen in einem Gesicht, das blasser war, als es sein durfte.
    »Ilona, mein Metzchen!« Talmond zog sie in die Arme. »So hast du mir noch einmal vergeben, mein Täublein?«
    Es war die Frau, die ihn in der Nacht über die Brüstung gestoßen hatte. Sie machte sich aus Talmonds Umarmung frei.
    »Was hast du angestellt, du tumber Kerl? Sie suchen nach dir, überall. Hast du die Bilder nicht gesehn? Sie haben sogar ein Kopfgeld auf dich gesetzt: dreißig Goldstücke.«
    Talmond breitete die Arme aus. »Ich habe keine Ahnung, wer …«
    »Er war hier!« Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern. Ihr Gesicht, das schon blass gewesen war, wurde noch bleicher. »Sein Antlitz ist weiß. Seine Augen brennen. Seine Finger schleudern Blitze. Einer der Dunklen. Und er fragte nach dir.«
    Talmond schüttelte verwirrt den Kopf, als begriffe er gar nichts. Und so war dem wohl auch. In einer einzigen Nacht von einem Raufbold und Hurenbock zum meistgesuchten Verbrecher des Landes geworden zu sein, das ist mehr, als mancher Mann so ohne weiteres wegstecken kann.
    Burin erfasste als Erster die Lage.
    »Wie es scheint, sind wir gerade noch im rechten Augenblick gekommen«, knurrte er. »Sonst wäre er jetzt ein toter Mann. Aber trotzdem gefällt mir das alles nicht. Irgendwo ist ein Wurm in dieser Geschichte. Nichts ist so, wie es sein sollte.«
    Gilfalas wandte sich an die Frau, die Talmond Ilona genannt hatte. Mit ausgesuchter Höflichkeit hub er an: »Schöne Maid, wir sind Euch zu Dank verpflichtet, derweil Ihr uns aus der Hand unserer Feinde errettet habt …« Irritiert unterbrach er sich, als sie zu kichern begann, ein wenig zu schrill, wie es schien.
    »Das hat lange keiner mehr zu mir gesagt, junger Herr«, meinte sie. »Als Metze, als Hur und mit schlimmem Worten hat man mich bezeichnet, aber als Maid …« Dann hielt sie plötzlich inne, als sie seine spitzen Ohren sah und seine fein geschwungenen Brauen. »Heilige Mutter! Ihr seid … wie er.«
    Gilfalas war nur einen winzigen Augenblick verwirrt, dann sagte er leise: »Nein, nicht wie er. Ihr habt einen meiner dunklen Brüder

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