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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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die Halle gelangten, nahm sie mit einem Mal noch andere Geräusche wahr, die das beständige Rauschen des Wasserfalls bislang übertönt hatte. Es waren Laute emsiger Betriebsamkeit: ein Hämmern und Klopfen, ein Pochen und Feilen, Schleifen und Bohren. Zuerst wunderte sie sich darüber, weil sie an einem so wunderschönen Ort eher eine Stätte stiller Verehrung erwartet hatte. Doch als sie aus einer Wandnische hinaus in die Halle trat, sah sie alsgleich den Grund ihres Irrtums ein.
    Es war eine Werkstatt, größer, als sie es je für möglich gehalten hätte. Hunderte von Zwergen liefen dort umher, mit irgendwelchen Aufgaben beschäftigt, oder standen an zahllosen Werkbänken, Steinschneiden, Poliertrommeln, Metallschmieden und Ambossen jeglicher Art. Jeder Einzelne von ihnen war so in seine Arbeit vertieft, dass er seine Umgebung kaum wahrnahm. Oder war es der Zauber, der Gwrgi und Ithúriël umgab, der niemanden von ihnen aufblicken ließ, wenn sie vorübergingen, und immer eine Gasse eröffnete, wo sich ein Pulk drängte?
    Ithúriël hatte kaum Zeit, sich darüber zu wundern, und sie konnte auch keinem der Handwerker die Aufmerksamkeit widmen, die er verdient hätte, denn jeder davon war ein Meister eigener Art. Was sie jedoch am meisten erstaunte, war jener große Mechanismus, mit dem hier ein Teil ins andere griff. Während ihr eigenes Volk, die Elben, auch große Künstler hervorgebracht hatte, so schuf doch jeder von ihnen ein Werk ganz eigener Art. Ein solches Mosaik verschiedenster Tätigkeiten, bei dem ein jeder nur einen winzigen Teil bearbeitete, ohne das Ganze zu kennen, und das sich doch zusammenfügte zu einem Gesamtkunstwerk, dem die Hand des Einzelnen nicht mehr anzusehen war, hätten die Elben nie zuwege gebracht.
    Inzwischen war das Dröhnen des Wasserfalls so laut geworden, dass es alle anderen Geräusche überlagerte. Der Sprühnebel, der davon ausging, ließ den Boden spiegeln, dass man das Gefühl hatte, über glattes Eis zu gleiten. Am Rande des kreisrunden Schachtes, in den die Wasserflut hinabstürzte, erhoben sich merkwürdige Gestelle aus Metall und Stein. Darin waren große runde Kessel an Zapfen aufgehängt; von ihnen führten Kanäle, sich verzweigend, zu gemeißelten Formen. Es war wie eine Anlange zum Gießen von Metall, doch war nirgends ein Schmelzofen zu erkennen.
    Dann wurde irgendwo ein Mechanismus ausgelöst, ein System von Rädern, Zapfen und Hebeln setzte sich klickend in Bewegung, ein Kessel drehte sich in den Gelenken, und eine blendend helle Flut ergoss sich in das Netzwerk von Rinnen, bis sie schließlich, immer langsamer werdend, in den bereitliegenden Modeln gelierte und zu Barren erstarrte.
    »Was ist das?«, fragte sie unwillkürlich, ohne daran zu denken, dass jemand sie hören könnte.
    Keiner von den umstehenden Zwergen blickte auf.
    »Das ist Electrum«, sagte Gwrgi, »das edelste aller Metalle. Man nennt es auch Echtsilber. Nur in den Tiefen von Zarakthrôr wird es gewonnen.«
    »Und wo kommt es her?«
    »Schau selbst, und sieh!«
    Da sah sie es selbst. Es kam aus den Tiefen des Wasserfalls. Wie ein ständiger flackernder Strom stieg es daraus empor, löste sich, sobald es die Höhe der Halle erreicht hatte, in einzelne Gestalten auf, kaum zu sehen in dem glitzernden Dunst, der die Wassersäule umgab. Von ihnen aus ergoss sich das Silber in die bereitstehenden Gefäße. Nur die Schatten verblieben, verharrten für einen Augenblick zitternd, wie unschlüssig, ob sie sich der wimmelnden Geschäftigkeit hinzugesellen sollten, die sie rings umgab. Doch dann wurde der Sog des fallenden Wassers zu stark und riss sie wieder hinab in den Schlund.
    Inzwischen waren Ithúriël und ihr Führer bis an den Rand des Abgrunds vorgetreten. Immer noch beachtete sie keiner: den gedrungenen, hässlichen Gnom und die schlanke, zierliche Elbenmaid. Das Rauschen des Stromes war so laut, dass ein Gespräch nicht mehr möglich schien, doch Ithúriël verstand dennoch jedes Wort, das Gwrgi zu ihr sprach, laut und deutlich:
    »Gehen wir der Sache auf den Grund?« Seine Augen funkelten.
    Sie schauderte und starrte ihn an. »Dort hinab?« Das Wasser, das zu ihren Füßen in der kreisrunden Öffnung verschwand, ließ zwischen der steinernen Kante und dem rauschenden Strom kaum eine Handbreit Zwischenraum. Und dort lauerte eine bodenlose Schwärze.
    »Vertraut mir!«
    Sie schluckte. Dann reichte sie ihm die Hand. Gemeinsam traten sie einen Schritt vor und stürzten sich hinab in die

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