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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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einmal eines klaren Gedankens fähig war?
    Der Schatten stieg den Wasserfall hinauf. Zunächst nur ein Stück, um dann wieder mitgerissen zu werden, hinab in die silbernen Tümpel am Rand des Teiches, in den sich das Wasser ergoss. Doch der Schatten lernte. Mit jedem Versuch zog es ihn weiter hinauf. Es war wie ein Spiel, und der Schatten war noch sehr jung, und wie alle jungen Wesen liebte er es, zu spielen. Es gab ihm die Möglichkeit, seine Kräfte zu erproben. Und mit jedem Stück, das er höher hinaufstieg, wuchs sein Freiraum. Bis er schließlich die gewölbte Halle erreichte, wo der Fall des Wassers seinen Ausgang nahm.
    Zuerst nahm er die anderen Wesen in der Halle überhaupt nicht wahr. Und ähnlich erging es ihnen umgekehrt wohl auch. Formen aus Silber und Dunkelheit in einem tosenden Wasserfall hält man für gewöhnlich für ein Trick des Lichts, eine Täuschung des Auges. Doch als die Schatten zu häufig wurden, der Strom ihrer Gestalten zu regelmäßig floss, aufwärts und wieder hinab, da ergriffen die Wesen in der Halle Maßnahmen, um das Geheimnis zu ergründen.
    Zuerst stellten sie seltsame Geräte um den Wasserfall herum auf. Der Schatten begriff nicht, worum es sich dabei handelte; er besaß keine Worte dafür und war zudem ganz gefangen im Spiel des Wassers, auf und ab im endlosen Kreis. Nur hier und da erhaschte einer von ihm einen Blick auf das, was außerhalb des Wasserfalls lag; dann ging das Bild die lange Kette hindurch bis zu allen. So wusste er von den seltsamen Wesen, welche die Halle bevölkerten. Sie waren anders als alle, an die er sich, wenn auch nur vage, erinnerte: klein und gedrungen und mit Haaren nicht nur auf dem Kopf, sondern auch lang hinabhängend unter dem Kinn. Der Schatten nannte sie die Bärtigen.
    Doch erst, als sie ihn einfingen, erkannte er ihre Absichten.
    Der Schrei ging durch die ganze Kette der Schattenwesen hindurch, als eines//ein Teil von ihnen – er//sie wusste//wussten nicht genau, wie er//sie sich selber sah//sahen, als Einzelnes oder als Viele – aus der Reihe herausgerissen wurde. Der Schatten//Teil schüttelte sich, dass er alles verlor, was er mit sich trug, Silberglanz und Wassernebel, bis nur noch der reine Schatten übrig blieb, der in einem summenden Netz gefangen war, aus dem er sich nicht befreien konnte.
    »Du bist unser Geschöpf«, sagten die Bärtigen.
    Der Schatten begriff nicht, was sie sagten. War er nicht älter als sie? Oder waren die Bärtigen schon da gewesen, bevor er geboren wurde? Seine Erinnerungen zerfaserten bei der Anstrengung, dieses Problem zu lösen. Und allein, ohne Kontakt mit seinen Brüdern//mit dem Rest von ihm war er nicht in der Lage, es zu bewältigen.
    »Hol uns das silberne Erz!«
    Der Schatten verstand immer noch nicht. Was wollten sie mit dem silbernen Zeug, das doch nichts als schön war und keinem Zweck diente, außer zu glänzen? Inzwischen begann er es zu bereuen, dass er den Weg aus der Finsternis hinauf in die Höhe gesucht hatte.
    »Oder wir werden dir Schmerzen zufügen.«
    Der Schatten wusste nicht, was Schmerzen waren.
    Sie lehrten es ihn.
    Es begann als ein Summen und wurde zu einem stummen Schrei, der jede Faser seines Wesens durchbebte. Und als sie damit fertig waren und das elektrische Netz ihn frei ließ, da tauchte er, so schnell er konnte, wieder hinab in die Tiefe, und das Wissen um das, was geschehen war, pflanzte sich in der Kette fort mit der Schnelle eines Gedankens.
    So begann die Zeit der Knechtschaft. Solange der Schatten für die Bärtigen das silberne Zeug aus der Tiefe heraufschaffte, so lange ließ man ihn in Ruhe. Wenn der Fluss des Erzes langsamer wurde oder stockte, wurde ein Glied der Kette herausgerissen und gepeinigt. Schließlich wagte der Schatten nicht mehr zu rebellieren. Er hatte sich an den Rhythmus des Auf und Ab gewöhnt, kannte nichts anderes mehr als die stete, mechanische Tätigkeit.
    Bis das Wesen in der tiefen Höhle auftauchte und in seinen Geist eindrang und sprach:
    ›Ich bin der Herr der Schatten.‹
    ›Ich bin Azrathoth. Ich weiß, was zu tun ist.‹
    Der Schatten verharrte. Der Schatten floss zusammen um das Wesen aus Dunkelheit, wahrte jedoch einen gebührenden Abstand.
    ›Wie ist dein Name?‹ , fragte der Schattenfürst.
    Ein ungewisses Flackern.
    Ein Name? Was ist ein Name? Ich//wir habe//haben keinen Namen. Wir sind eins und doch viele. Wir sind der Tod, und doch leben wir.
    ›Ich werde euch einen Namen geben‹ , sagte der Dunkle. ›Ich nenne euch

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