Die Herren der Zeit
Schloss fiel.
Fregorin stand hoch aufgerichtet vor der Tür. Von dem Ring in seiner Hand ging ein Licht aus, das sich wie ein schimmernder Nebelstreif in die Ritzen der Tür schmiegte und sie versiegelte. Einen Augenblick stand das große Portal wie von Feuer umringt; dann verblasste das Licht und erlosch.
Langsam wandte Fregorin sich um, ein alter, müder Mann, dem die Last des Lebens zu schwer geworden war, um sie noch länger zu tragen. Mühevoll streifte er sich den Ring vom Finger. Aus einer Tasche, die an seinem Gürtel hing, zog er einen vorbereiteten Umschlag; es war nicht zu erkennen, was sich darin befand. Er ließ den Ring hineingleiten und trat dann an den Rand des kreisrunden Beckens, das die Mitte des Raumes bildete. Der Umschlag flatterte herab, blieb einen Augenblick lang auf dem spiegelnden schwarzen Wasser liegen, sodass man das Zeichen erkennen konnte, das darauf geschrieben war. Dann war er verschwunden, ohne auch nur eine Kräuselung auf der Oberfläche zu hinterlassen.
Mit schweren, schleppenden Schritten ging Fregorin auf das Podest zu, das sich auf der anderen Seite des Beckens erhob. Zwei Throne standen darauf. Er zögerte einen winzigen Moment. Dann setzte er sich auf den rechten der beiden nieder, legte die Arme auf die beiden steinernen Lehnen und ließ den Atem entweichen.
Die Verwandlung war ebenso schrecklich wie wunderbar. Sie begann an den Füßen. Zuerst wurde das Leder der schweren Stiefel stumpf und grau. Dann zog sie sich hinauf zu den Beinen, und der Stoff an den Knien verlor seine Spannkraft. Die Ringe des Kettenhemdes wurden matt. Die Arme und Hände, die auf den steinernen Lehnen lagen, erstarrten. Was sich als Letztes verwandelte, war das Haupt. Die ledrige Haut des Gesichts wurde erst wächsern, dann stumpf, und was bis zum Ende blieb, war der Glanz in den geöffneten Augen, ehe auch dieser schwand.
»Stein zu Stein«, sprach Gwrgi. »So ist es ihnen bestimmt, die der Hand des Meisters der Untererde entsprangen: dass sie, wenn ihre Zeit gekommen ist, wieder zu dem werden, von dem sie genommen sind.«
Ringsum herrschte eine gewaltige Stille. Selbst die unendlich langsame Bewegung der großen Kuppel zu ihren Häupten, die mit ihrer Drehung den Ablauf der Welt maß, schien mit einem Mal zur Ruhe gekommen zu sein.
In das Schweigen hinein sagte Ithúriël: »Er war einst groß. Erweisen wir ihm die Ehre.«
Sie senkte den Kopf. Und während sie, die vom Anbeginn der Zeit kam, über das Ende aller Dinge nachsann, hörte sie aus den Tiefen des Berges einen Laut, der vielleicht die ganze Zeit da gewesen war, den sie aber nie bewusst wahrgenommen hatte. Nun klang es wie ein Abgesang auf den Glanz des Zwergenreiches von Zarakthrôr.
Es waren Trommeln. Trommeln in der Tiefe.
»Wir können hier nicht bleiben«, sagte Gwrgi schließlich. »Wir müssen wieder zurück aus der Welt des Traums in die Welt der Lebenden.«
Ithúriël sah auf. Ihr Blick fiel auf den tintigen Teich, der im Zentrum der Halle blinkte. »Auf diesem Weg?«
Er nickte, soweit es sein kurzer Hals erlaubte.
Sie trat an den Rand des Beckens. »Was war das für eine Botschaft, die Herr Fregorin zusammen mit seinem Ring hier versenkte?«, fragte sie. »Konntest du das Zeichen lesen?«
»Sie war an seinen Bruder gerichtet, Ardhamagregorin, Erzmeister, letzter der Drei. Darin bekennt er seine Schuld und seinen Frevel, und er bittet ihn, zu kommen und an seiner Statt das Tor zu bewachen, das er zwischen den Welten errichtet hat.«
»Und wird er kommen?«
»Das«, sagte Gwrgi, »ist eine andere Geschichte. Aber wir müssen jetzt sehen, dass es mit unserer Geschichte weitergeht, nicht wahr?«
Sie lächelte und nahm seine Hand. »Dann komm!« Ein letztes Mal streifte ihr Blick durch die Halle, zu der versiegelten Tür, dem versteinerten Zwerg auf dem Thron. Dann tat sie mutig einen Schritt nach vorn, in die tintige Schwärze und hinein in ein blendendes Licht.
Er ging durch eine zeitlose Welt.
Nebel lag über den Felsenklippen, ein gestaltloser Dunst, der alles einhüllte und nur die nackten Gebeine der Erde hervorstechen ließ. Zwischen den Felsen lauerten Abgründe, tief und bodenlos. Der Himmel oben war ebenso grau wie die Welt ringsum, denn wo es keine Zeit gibt, gibt es auch keine Sonne.
Durch den Nebel kam eine Gestalt. Von untersetzter Statur, in einen braunen Kittel gekleidet, mit einem Wams darüber, dazu Hosen und festes Schuhwerk, und mit einem Wanderstock in der Hand. Der einzige Farbfleck an ihm
Weitere Kostenlose Bücher