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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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war standhaft und unbeugsam wie der Fels zu seinen Füßen. Während der Elbenfürst den Boden kaum zu berühren schien, stand der Zwergenmeister mit beiden Beinen fest auf dem Grund.
    Und dennoch, wenn man die beiden so nebeneinander sah, hatten sie doch etwas gemeinsam; etwas, das sich in Worten nicht ausdrücken ließ. Ein Glanz lag in ihren Gesichtern, in ihrer ganzen Gestalt, ein Adel, der nicht aus der Zustimmung des Volkes stammte, sondern von einer höheren Macht dorthineingelegt worden war.
    Die helle, klare Stimme des Elben wechselte mit dem tiefen, sonoren Bass des Zwerges. Die Beobachter konnten nicht verstehen, was dort gesprochen wurde, doch schließlich nickte Herr Bregorin knapp, und Herr Arandur verbeugte sich mit einer fließenden Bewegung.
    »Sie scheinen sich einig zu sein«, meinte Gilfalas. »Und so fügt sich alles aufs Beste.« Er seufzte. »Ach, wenn nur Ithúriël hier wäre, dann wäre meine Freude vollkommen …«
    »Dein Wunsch ist dir erfüllt«, sagte eine Stimme vom Eingang der Hütte.
    Ithúriël stand in der Tür. In der schlichten, hellen Kleidung, die sie trug, aus weichem Leder geschnitten, erschien sie wie die junge Göttin selbst, heimgekehrt von der Jagd. Kein Blumenkranz, kein zwergisches Geschmeide hätte vor dem Glanz ihres Haares Bestand gehabt, das ihr schmales Gesicht umrahmte. Doch der Schimmer der Abendsonne, der ihre Gestalt vergoldete, war nichts gegen das Licht, das in ihren Augen lag, ein Licht vom Anbeginn der Welt.
    Sie trat auf den Hohen Elbenfürsten zu. Für den Augenblick dieser Begegnung war es so, als habe die Welt nur auf diesen Moment gewartet und als gäbe es niemanden außer ihnen beiden, hoch über den Niederungen des Daseins.
    »Herr«, sagte sie, »ich hatte nicht mehr gehofft, Euch in diesem Leben noch wiederzusehen. Seid Ihr endlich gekommen, um das zurückzunehmen, was Ihr mir einst auferlegt habt?«
    Arandur hatte sich zu ihr gewandt. Er nahm ihre Hände. »Wohl getroffen«, sagte er, »auf dieser Schwelle zwischen den Welten. Nun ist es fast vollbracht, der Plan vollendet. Du bist nun frei.«
    Sie löste sich aus seinem Griff und zog den Ring hervor, den sie an einer Kette um den Hals trug. Einen winzigen Augenblick zögerte sie noch, als müsse sie etwas von sich selbst preisgeben. Dann löste sie mit einem Seufzer, in dem Bedauern und Freude zugleich lag, den Ring von der Kette und legte ihn in des Hohen Elbenfürsten Hand.
    Arandur Elohim hob den Ring empor. Ein Strahl des letzten Abendlichts fing sich in dem kristallenen Kleinod und ließ es aufglühen.
    »Hier bin ich«, sprach er. »Sieh mich, dunkler Bruder, und wisse, dass deine Zeit nun zu Ende geht!«
    In der Feste der Finsternis stöhnte der Herr der Schatten im Schlaf.
    Eine ganze Nacht und einen Tag hatte er geschlafen, seit er in der Dämmerung zurückgekehrt war. Mehr tot als lebendig war er aus dem hohen Turm getaumelt, schmerzverkrümmt, von Fieber gezeichnet. Keiner von den Dunkelelben hatte es gewagt, sich ihm zu nähern, geschweige denn einer seiner halbmenschlichen Bolg-Diener. Sie kannten den Zorn ihres Herrn, wenn dieser sich hilflos sah, und wussten, dass ein Wort, eine Handbewegung genügte, um Schmerz zu bringen – und Schlimmeres als Schmerz.
    Das Ende von allem.
    Die Vernichtung des Seins.
    Einst waren sie ihm gefolgt, seine elbischen Brüder, weil er sie zu neuen Ufern zu führen versprochen hatte. Macht über die Schöpfung, das war es, was sie ersehnt hatten. Doch er hielt nun alle Macht in seiner Hand, Gewalt über Leben und Tod.
    Und selbst stöhnend, auf seinem Lager, von Schmerzen gepeinigt und von etwas, das fast aussah wie Furcht, war er immer noch mächtiger als sie alle.
    Aber vor der Tür seiner Kammer, wo sie sich sicher wähnten, flüsterten sie untereinander in der Schwarzen Sprache.
    ›Sollen wir Azanthul herbeirufen, für alle Fälle?‹
    ›Warten wir lieber, bis er erwacht.‹
    ›Aber wenn er nicht mehr erwacht? Er schlaf schon so lange.‹
    ›Willst du die Verantwortung übernehmen?‹
›Bin ich des Lebens müde? Nein … nein … ‹
›Dann schweig!‹
    Aus dem Inneren der Kammer ein Schrei. Dann wieder Stille bis auf ein schweres, stöhnendes Atmen. Rasselnd, aus und ein.
    Zeit verging.
    Schwere, schleppende Schritte. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit. Unwillkürlich duckten sich die Diener, Bolg-Menschen und Schattenelben gleichermaßen.
    Azrathoth stand in der Tür, schwer gegen den Rahmen gelehnt. Sein Gesicht war weiß wie der Tod.

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