Die Herren der Zeit
ein Frühling dem anderen. Und wie sie in den endlosen Wäldern der Überwelt die Stadt ihrer Träume errichteten, Selenthoril, die weithin Leuchtende, mit ihrer hohen Kuppel, die Tag und Nacht von Musik und Tanz erfüllt war.
»Und so hätte es ewig weitergehen können«, fuhr er fort. »Doch dann geschah es, dass ein Schatten der Unruhe über mein Volk fiel. Woher er kam, haben wir zunächst nicht erkannt. Aber ich glaube, dass mit dem Vergehen der Zeit sich die Dinge zu verändern begannen und nicht mehr alles so war wie zu Anfang. Kleine, unbedeutende Zufälle gleich dem Flügelschlag eines Schmetterlings, der sich zu einem Wind auswächst, dem Zirpen einer Grasmücke, das zu heimlich geflüsterten Worten wird, die immer lauter tönen. Es hieß, kein Segen sei es, dass wir ewig so bleiben sollten, wie wir waren, sondern ein Fluch, und das wirkliche Leben würde in einer weiteren Welt gefunden werden, einer Welt der Veränderung. Es war zunächst nur ein Spiel unter vielen, doch einige unter meinen Brüdern führten das Spiel weiter, bis Ernst daraus wurde, und ihr Glaube schuf einen Riss zwischen den Welten.«
Er sprach davon, wie die Elben in die Mittelreiche gelangten – eine zugleich erschreckende und erhebende Erfahrung für sie.
Hier fanden sie den Wandel und die Veränderung, nach der sie gesucht hatten, und sie sahen, wie daraus neues Leben erwuchs, und es faszinierte sie, weil sie nie über ihren eigenen Anfang hinausgelangt waren. Und einige von ihnen vermischten sich mit den Kindern der Mittelreiche und wurden ein Teil von ihnen, verbunden und dennoch ein Volk für sich.
»Doch andere gingen weiter. Mit dem Leben fanden sie auch dessen dunkle Seite: den Tod. Denn überall wo Licht ist, da ist auch Schatten.
Einer von ihnen, dessen Name Eluhir war, Sohn des Lichts, war wie geblendet von den Möglichkeiten, die sich boten, selbst über Tod und Leben zu entscheiden. Denn er spürte, dass Macht darin lag, und mit dieser Macht band er andere an sich. Und so wurde er selbst ein anderer, wie auch seine Sprache sich veränderte. Also nannte er sich fortan Azrathoth, Herr der Schatten.«
Der Hohe Elbenfürst verstummte. Das Licht in seinen Augen, das sein ganzes Antlitz erfüllte, schien ihn von innen heraus zu erleuchten, als er weitersprach.
»Da aber kam mein Herr zu mir und führte mich an einen dunklen Ort, tief im Innern der Erde, wo das Wasser den tiefsten Grund seines Seins erreicht. Dort, auf dem Grund der Tiefe, erschuf ich, wie er mir geheißen, den Einen Ring der Macht. Aus Feuer, Wasser und dem Urgestein der Welt schmiedete ich ihn, die der Herr der Überwelt, der zugleich der Vater der Mittelreiche ist und der Meister der Untererde, mir darbot, und in Seinem Auftrag schuf ich ihn. Und seitdem fließt jene Höhle über vom wahren Silber, das an keinem anderen Ort der Welt gefunden wird.«
Bregorin und die anderen Zwerge beugten sich vor, und etwas flammte in ihren Augen auf, ein Verlangen, das in jener Stunde entzündet wurde und nie mehr verlöschen würde, solange die Welt bestehen sollte.
Doch der Elbenfürst schien es nicht bemerkt zu haben, denn er sprach weiter: »Weitere Ringe würde ich schmieden, so wurde mir in jener Stunde verheißen, die Zwei des Bewahrens, die Drei der Veränderung und den Siebenten Ring, der die Welt im Innersten zusammenhält. So würde es sein, und so wird es geschehen. Doch der Eine Ring würde ihrer aller Meister sein.
Doch der Herr gebot mir, dass ich den Ring verbergen solle, als Pfand auf die Zukunft, und so gab ich ihn in sichere Obhut. Wenig ahnte ich damals, dass diese Zeit Jahrhunderte dauern sollte und welche Schicksale von ihm bewegt werden würden. Doch nun habe ich den Ring wieder an mich genommen und mich offenbart. Nun weiß mein dunkler Bruder, dass es ihn gibt.«
»Dies war also der Grund, weshalb Euer Ring verborgen bleiben musste!«, rief Ithúriël aus.
Der Hohe Elbenfürst wandte sich ihr zu. »Ich glaube, Azrathoth spürt ihn, spürt seine Macht. Und wenn er davon gewusst hätte, dann hätte er sein ganzes Sinnen und Trachten darauf gerichtet, seinen Aufenthalt zu finden und ihn zu vernichten. Jetzt ahnt er, was um ihn geschieht, und es sät Furcht in sein Herz …«
»Doch was ist mit seinem Ring?«
Alle blickten auf.
Kim wurde rot, da es ihm selber gar nicht bewusst gewesen war, dass er laut gesprochen hatte. Aber schnell fing er sich wieder.
»Ich meine«, sagte er rasch, »von den Zwei wissen wir, dass er sie nicht haben
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