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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Gestein hinein, oder sie waren schlichtweg eingeschlafen. Oder beides.
    Draußen war es noch dunkel. Ein fahler Schimmer hing im Osten über den Bergen, aber selbst am Gipfel des Mons Achernaos, der höchsten Erhebung des Sichelgebirges, zeigte sich noch kein Schimmer der aufgehenden Sonne. Kein Mond stand am Himmel, aber die Helle des heraufdämmernden Morgens und das allmählich verblassende Licht der Sterne reichten aus, um zu sehen, wo man sich befand.
    Gen Norden lag das Land noch im tiefen Schlaf. Hier und da sah man in der Ferne den Widerschein von Feuer, glühende Punkte in der Düsternis, als hätte man hier und da mit einer Nadel in das Gewebe der Nacht hineingestochen und eröffnete so einen Blick auf die urtümliche Glut der Welt, die dahinterlag. Die Feste der Schatten war eine drohende Präsenz fern am Horizont. Hinter den Mauern flackerten Lichter, doch es war viel zu weit, um irgendetwas zu erkennen von dem, was sich dort tat.
    Gen Süden erhoben sich die höchsten Kämme und Spitzen der Gebirgskette, unterbrochen nur an der Stelle, wo der Sattel des Steigs die Passstraße markierte. Kalt strömte es von den Regionen des ewigen Schnees hernieder und von den Eisfeldern, die sich in unmerklich langsamer Bewegung hinab in die Täler schoben.
    Gwrgi schauderte. »Kalt«, sagte er noch einmal und kauerte sich nieder, um dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.
    Kim ging in die Hocke, um auf einer Höhe mit ihm zu sein. »Gwrgi, wo ist das Tor? Zeig es mir. Es muss hier irgendwo sein. Es muss einen Weg dorthin geben.«
    Gwrgi wiegte den Kopf, als verstünde er ihn nicht.
    »Das Tor!«, wiederholte Kim beschwörend. »Das Tor zur Untererde. Das Tor, durch das ihr gekommen seid, die Herrin und du? Das Tor zum Ende der Zeit. Wo? Zeig es mir!«
    Gwrgi sah ihn mit großen Augen an.
    »Warum?«, fragte er.
    Es war eine viel zu einfache Frage, um darauf eine einfache Antwort geben zu können. Und was sollte er sagen. Der Sumpfling würde ihn doch nicht verstehen. Oder etwa doch?
    »Weil ich eine Gefahr für uns alle darstelle.« Kims Stimme war leise, aber fest. »Weil ich den Ring in Sicherheit bringen muss, bevor sein Fluch uns ereilt. Ich bin hier am falschen Ort, verstehst du? Zur falschen Zeit. Und nur ich kann das in Ordnung bringen.«
    Gwrgi stand auf. »Komm«, sagte er jetzt. »Ich zeig dir Weg.«
    Kim war ebenfalls aufgestanden. »Nein, du brauchst nicht mitzugehen, Gwrgi. Das ist allein meine Sache, verstehst du? Du musst mir nur zeigen …«
    »Dort!« Gwrgi zeigte mit dem Finger. Kim blickte auf. Sein Blick folgte der Richtung, die der Sumpfling wies. Sie führte genau zu dem riesigen Gletscher, der oberhalb der Hütte lagerte, weißlichgrau in der Dämmerung, und darüber hinaus.
    Kim schluckte. »Aber da gibt es keinen Weg«, sagte er. In seiner Stimme schwang Enttäuschung. Er hatte sich alles so gut zurechtgelegt. Und jetzt schien es, als hätte sich die Welt selbst gegen ihn verschworen, um ihm auf der letzten Strecke ein unüberwindliches Hindernis in den Weg zu legen.
    »Komm«, sagte Gwrgi und reichte ihm die Hand. »Es gibt immer Weg, wenn du glaubst.«
    Kim ließ sich ein Stück mitziehen, ohne richtig zu wissen, was er tat. Doch dann dämmerte in seiner Verzweiflung wieder etwas wie Hoffnung in ihm auf. Es war zwar wider alle Vernunft, aber vielleicht war es in seiner Lage sicherer, dem Gefühl zu folgen als dem logischen Denken. Wenn Gwrgi sagte, es gebe einen Weg, vielleicht … nun, vielleicht sollte er wirklich daran glauben.
    Sie folgten dem Bergpfad, der sich zum Steig hinaufwand, ein kurzes Stück, dann wandte sich Gwrgi zur Seite, wo ein Schotterfeld vom Wegesrand zu einer Felswand hin anstieg. Es bildete einen Teil der großen Seitenmoräne, an der sich der Gletscher entlangwand, eingefasst von gewachsenem Fels. Das Gestein war lose und brüchig, und sie mussten auf Händen und Füßen kriechen, um nicht den Halt zu verlieren. Unter den Tritten knirschte und rutschte der Schotter, und hier und da polterten die Steine zu Tal. Außerdem durchdrang der Wind, der von unten heraufzog, alle Kleider, und die Kälte, die von dem Firn ausging, war wie ein eisiger Hauch im Gesicht. Wenn es hier ein Unwetter geben sollte, wären sie rettungslos verloren.
    Kim war froh, als sie endlich die Felswand erreicht hatten, in deren Windschatten sie einen Moment ausruhen konnten.
    »Sst!«, zischte Gwrgi. »Einer folgt uns.«
    Kim lauschte. Jetzt hörte er es auch: tappende Tritte,

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