Die Herren der Zeit
verlassenen Heiligtums der Zwerge. Bis auf ein paar Wolken in den oberen Luftschichten war der Himmel klar. Unter anderen Umständen wäre dies eine wunderschöne Wanderung gewesen, bei strahlendem Sonnenschein. Doch so machte sich jeder seine Gedanken, und sie achteten kaum auf die Umgebung.
»Das Schwert!«, rief Fabian plötzlich aus und schlug sich mit der Hand vor den Kopf. »Ich habe das Schwert vergessen.« Die andern starrten ihn verwundert an.
»Izrathôr«, erklärte er. »Es liegt noch immer auf der Feste der Finsternis versteckt, wo ich es zurückgelassen habe. Sofern es nicht inzwischen jemand gefunden hat«, fügte er hinzu. »Aber es war in einen Elbenmantel eingewickelt, und der ist eine ziemlich gute Tarnung.«
»Das ist eine Sache, die mir auch Kopfzerbrechen macht«, meinte Burin. »Ich habe Herrn Bregorin nach dem Schwert gefragt, weil ich eine Waffe für Fürst Talmond suchte und Aldo mich an die alte Legende erinnert hat. Aber es gibt dieses Schwert nicht, nicht in dieser Zeit. Es ist noch nicht geschmiedet worden. Sie arbeiten an der Beherrschung des Stahls, aber sie sind noch nicht so weit. Ich habe ihnen ein paar Hinweise geben können«, fuhr er mit leiserer Stimme fort, »vielleicht beschleunigt es ja die Entwicklung … Ach, ich hasse diese Reisen durch die Zeit! Es macht alles so kompliziert.«
»Was mich viel mehr beschäftigt«, sagte Gilfalas, »ist die Frage, ob wir wirklich gut daran getan haben, Gorbaz zurückzulassen. Auch er ist ein Fremder in der Zeit. Kann sich jemand daran erinnern, ob es in den Schattenkriegen je einen Großen Bolg gegeben hat? Verändern wir nicht vielleicht die Geschichte, die wir retten wollen?«
»Die Aufzeichnungen über diese Zeit sind so verworren und bruchstückhaft«, meinte Burin, »dass es alles und jeden gegeben haben kann. Warum nicht einen Krieg Bolgs gegen Schattenelben?«
»Aber in einem Punkt hat Gilfalas recht«, stellte Fabian fest. »Es gab keine große Entscheidungsschlacht. Nicht unter Talmond. Erst unter seinem Sohn, Helmond dem Großen. Und das Zerbrochene Land und der Schattengürtel – das war alles viel später.«
»Ihr könnt Euch nicht quälen mit dem, was sein könnte oder vielleicht nie sein sollte«, sagte Ithúriël. »Vertrauen wir darauf, dass der große Plan des Göttlichen Paares auch dies alles umfasst, und tun wir das, was wir für richtig halten. Mehr kann man von keinem verlangen – weder Mensch noch Elbe, noch Zwerg.«
»Und ich halte es für richtig, dass wir unseren Atem sparen«, knurrte Burin. »Denn es geht jetzt hoch hinauf, und wir brauchen ihn für andere Zwecke.«
*
Er war wieder in seinem Traum.
Nur dass es diesmal kein Traum war, sondern erschreckende Wirklichkeit.
Vor ihm lag nichts als eine endlose Öde. Schlackenhügel, so weit das Auge reichte, rauchend noch von den Urgewalten der Natur. Schwefliger Rauch ließ die Augen tränen.
Hier und da flackerten noch die Feuer, die das Land geschaffen hatten, ausgespien aus dem Bauch der Welt. Irgendwo fern im Westen stand Dampf über dem Meer, wo sich Feuer und Wasser trafen, doch der Blick reichte gerade so weit, dass man ihn erahnen konnte. Im Osten schnitten hohe Berge, aufgefaltet, als der Riss zwischen den Welten sich auftat, den Himmel ab.
Er war wieder in Elderland. Doch dies war nicht das Land seiner Heimat; es war das rohe, urtümliche Land in seinen Geburtswehen. Die Barriere zwischen Gestern, Heute und Morgen war gesprengt, und aus Feuer und Wasser, Luft und Erde war dieses neue Land geboren worden. Und es blutete schwer, eine Wunde im Leib der Welt, die sich erst irgendwann in Äonen wieder schließen würde.
Doch für all dies hatte Kim kein Auge.
Er stieg einen steilen Felshang empor. Um ihn war nichts als kahler Stein, schroff und zerschrunden, auf dem nichts wuchs, kein Kraut, keine Blume. Voraus, über ihm, wie von einem Messer abgeschnitten, bog sich der Fels außer Sicht, und darüber dräute ein dunkler, konturloser, wolkenverhangener Himmel.
Und dann sah er ihn.
Er schien eher über dem Boden zu schweben, als ihn zu berühren. Eine Leichtigkeit war in ihm, die aus einer früheren Epoche der Welt stammte, als alles noch jung und frisch und unberührt war. Sein Haar war dunkel wie die Nacht, die schon der Schimmer des Morgens bleicht. Sein Gesicht war hell, da die Hitze des Sommers es nie versengt hatte. Doch die Asche der Schlote hatte bereits sein weißes Gewand geschwärzt, und die Blumenketten, die er trug, waren verkohlt
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