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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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schließlich, von Hunger und Durst entkräftet, nicht mehr weiter konnte und ihm nur noch übrig blieb, zwischen dem nackten, unbarmherzigen Gestein auf sein Ende zu warten.
    »Herr Kim! Kim!«
    Da, war da nicht ein Laut? Ein schriller, animalischer Laut, ein Schrei der Angst und des Entsetzens, wie ein Tier ihn von sich gibt.
    Aber nein, er musste sich getäuscht haben. Hier gab es nichts, nicht einmal Gras und Blumen. Keine Sonne, kein Leben. Eine graue Zwischenwelt, in der die Gesetze von Raum und Zeit aufgehoben waren.
    Da waren Gestalten im Nebel.
    Die eine hochgewachsen und breitschultrig. Die andere klein, stämmig und untersetzt. Die dritte schlank und geschmeidig wie ein junger Baum im Wind. Sie hielten die Hände verschränkt, und ein Licht ging von ihnen aus.
    »Herr Fabian …? Und Bu-bu …? Gil …?« Die Stimme versagte ihm. Der Nebel zerfaserte die Worte zu Fetzen.
    Instinktiv hielt er auf die Gestalten zu. Doch dann sah er, dass sie nicht wirklich da waren. Der Nebel ging durch sie hindurch, und während er noch in die wabernde Graue auf die Erscheinung zuwankte, verblasste sie und verschwand, und er sah sich plötzlich am Rande eines tiefen Abgrunds wieder. Heftig mit den Armen rudernd, gewann er das Gleichgewicht zurück.
    Und blickte in das Antlitz des Grauens.
    Ein unförmiger Kopf mit weit aufgerissenen, glotzenden Augen, in denen sich ein namenloser Schrecken spiegelte. Ein Wanst so grau wie der Nebel, der ihn umgab. Riesige Ohren, gelbe, gebleckte Zähne …
    Und plötzlich wusste Aldo wieder, wo er war. Er war in seinem Traum. Dem Traum, den er gehabt hatte, als er auf dem Weg nach Zarakthrôr war. Nur dass der Traum jetzt Wirklichkeit geworden war.
    »Alex!« Vor Erleichterung musste er laut lachen. »Alexis, du blödes Vieh! Wo kommst du denn her?«
    Der Esel starrte ihn mit einer Mischung aus Unverstand und Übellaunigkeit an, als wollte er sagen: Was kann ich denn dafür, dass ich hier gelandet bin!
    »Du hast dich verirrt, was?« In dieser grauen Welt zwischen den Zeiten wunderte ihn gar nichts mehr. »Hast dich verlaufen in der Zeit. Ach, das kann jedem passieren, nicht nur einem Esel wie dir.« Es war ihm klar, dass er Unsinn schwätzte, aber es war ihm egal; er war froh, wenigstens ein Gesicht gefunden zu haben, das ihm vertraut war. »Warte, ich komme dich holen.«
    Mit langen Sätzen sprang er von einem Fels zum nächsten, hangabwärts, bis aus dem sich lichtenden Nebel die bekannten Pfeiler einer Brücke auftauchten, die über den Abgrund führte.
    »Bleib stehen, Alexis! Warte! Ich komme!«
    »War das nicht Aldo?«
    »Einen Moment war mir auch, als hätte ich …«
    »… ihn gesehen.«
    In dem geisterhaften Licht, das sie umgab, war es schwer auszumachen, was wirklich war und was nicht.
    Es gab keine Landmarken auf ihrem Weg, keinen Grund mehr unter ihren Füßen. Mit jedem Schritt sanken sie tiefer. Bilder wechselten so rasch, dass das Auge ihnen nicht folgen konnte. Hätten sie dies alles erfasst, wären die Jahrhunderte der Geschichte gleichsam an ihnen vorbeigezogen. So aber blieben nur vage Erinnerungen, die schon vergessen waren, ehe sie sich formten, von Dingen, die sein oder die niemals geschehen würden, großen und kleinen, guten und bösen, mutigen und verzweifelten.
    Dann war wieder fester Boden unter ihren Füßen, trockenes Herbstgras, und als ihr Blick sich klärte, sahen sie vor sich die bereits entlaubten Äste eines Baumes, ein großes, schattenhaftes Gebäude und davor eine Reihe von Hügeln, an deren letztem eine kleine, gebeugte Gestalt stand.
    »Kim!«
    Die Gestalt hörte nicht. Sie hielt etwas in der Hand. Es schien ihr wert und teuer zu sein, so wie sie es unverwandt anblickte. Das Kleinod blitzte auf, als der letzte Schein der Abendsonne es traf.
    »Komm mit uns!«
    Die Gestalt wandte sich um. Ihr Haar war schlohweiß. Tiefe Furchen waren in das Gesicht eingegraben, Glyphen der Zeit, wie sie nur Jahre und Jahrzehnte von Freuden und Sorgen hinterlassen. Sie blinzelte gegen die Abendsonne.
    »Burorin!« Staunen lag in der Stimme, der zittrigen Stimme eines Greises. »Gilfalas! Und Fabian!« Er öffnete die Arme, um sie willkommen zu heißen, doch dann besann er sich anders. Ein Schatten fiel über sein Gesicht. »Gut, dass ihr endlich kommt. Es wurde auch Zeit.«
    »Kim?« Fabian trat einen Schritt vor. »Kimberon Veit?«
    »Derselbe, Majestät.«
    »Beim Meister«, entfuhr es Burin. »Was ist mit dir geschehen?«
    »Wir alle werden einmal alt, Bubu.«

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