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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Kimberon lächelte, doch es war ein trauriges Lächeln. »Ihr kommt zu spät. Ihr müsst zurück, fünfunddreißig Jahre in die Vergangenheit. Und sagt ihm … sagt mir , dass ihr mich getroffen habt. Und dass ich mit euch gehen muss …«
    »Dann kennst du die ganze Geschichte?«, fragte Gilfalas. »Du weißt, wie sie ausgeht?«
    Kim sah ihn an, als wollte oder könnte er nicht antworten.
    »Ja … und nein …«, sagte er schließlich und verstummte wieder. Dann setzte er noch einmal an, und es lag darin eine plötzliche wilde Hoffnung, die Hoffnung auf eine letzte Chance, die ihm sein Leben lang versagt geblieben war. »Habt ihr das Buch?«
    »Das Buch?« Fabian runzelte die Stirn. Im ersten Augenblick wusste er nicht, was ihr so seltsam veränderter Freund meinte. Dann erinnerte er sich. »Du meinst … das Buch?«
    Er griff unter seinen Mantel. Als sie überhastet aus der Zwergenbinge aufgebrochen waren, hatte er Kims Rucksack in der Hand gehalten, und er hatte keine Gelegenheit gehabt, ihn wieder zurückzulegen. War es Zufall oder Fügung? Er löste die Schnüre des Rucksacks und zog ihn auf. Ein fleckiger, ledergebundener Band kam zum Vorschein, blau, mit metallverstärkten Ecken.
    »Ja, ja!« Gier sprach aus Magister Kimberons Worten. »Gib es mir …!«
    Fabian streckte ihm das Buch hin.
    Der Magister packte es und riss es an sich. Dann wandte er sich um, ohne auch nur einen weiteren Blick für seine Freunde von einst übrig zu haben, und stiefelte davon.
    Fabian, Burin und Gilfalas wechselten einen Blick. Dies war nicht der Empfang, mit dem sie gerechnet hatten – wenn sie überhaupt mit irgendetwas gerechnet hatten. Aber dass ihr Freund, auf so seltsame und wunderbare Weise wiedergefunden, sich einfach umdrehen und sie stehen lassen würde, das hätte sich keiner von ihnen erträumt.
    »Und was nun?«, knurrte Burin.
    »Du hast gehört, was er gesagt hat«, antwortete Fabian. »Zurück in die Vergangenheit. Fünfunddreißig Jahre …«
    »Aber wieso fünfunddreißig?«, fragte Gilfalas.
    »Ich weiß es nicht. Aber ich hatte fast den Eindruck, als hätte er uns erwartet. Als wüsste er, dass wir kommen würden. Vielleicht ist er uns ja fünfunddreißig Jahre zuvor schon einmal begegnet.«
    »Und wieso habe ich den Eindruck, als wäre das alles schon einmal geschehen?«, meinte Burin. »Als folgten wir nur noch den Anweisungen in einem Stück, das irgendjemand anders geschrieben hat?«
    Gilfalas lachte. Es war das erste Mal, dass Burin und Fabian den Elben so lachen hörten, erheitert von einem Scherz, den sie nicht verstanden. »Und ich dachte, wir wären die Herren der Zeit! Dabei sind wir nur Gefangene in ihrem endlosen Kreis.«
    »Warte nur ab«, erwiderte Burin. »Noch ist das Stück nicht zu Ende.«
    »Folgen wir also dem Weg, den die Ringe uns weisen«, sagte Fabian.
    Stumm reichten sie sich erneut die Hand, und wiederum verblasste ringsum die Welt.
    Nebel lag über den Sümpfen. In den Sielen glitzerte tintiges Wasser. Irrlichter tanzten über dem Ried, flackerten in den Schwaden, die zwischen dem harten Gras, den weißlich geschälten Birken und den verkümmerten, verdrehten Büschen dahintrieben. Die Sonne schwamm als ein fahler, hellerer Fleck irgendwo am Himmel. Das Land unter dem Himmel war flach und endlos weit, bis es sich in der Graue der Ferne verlor. Ein leichter Regen fiel.
    Der Stamm hatte sich auf eine Anhöhe geflüchtet, die nur um ein Weniges über das flache Niveau der Sümpfe herausragte. Der Torfboden war von dem Nieselregen durchtränkt, doch hier, im Schutz einer Gruppe von Ginstersträuchern, war zumindest die Illusion von Wärme gegeben, wenn man nur dicht genug zusammenrückte.
    Sie waren nicht mehr als ein gutes Dutzend. Die Männchen, etwas größer gewachsen, mit geschuppter Haut und einem Zackenkamm auf dem Rücken; die Weibchen, breithüftig und gedrungen, die Kleinen unter dem Leib an ihre großen, flachen Brüste gepresst. Die Kiemen an ihren Hälsen zeigten noch ihre amphibische Herkunft, doch sie waren Lebendgebärende, Säuger, die bereits Brutpflege und Aufzucht kannten. Sie waren ein einfaches, primitives Volk, das erst kürzlich, vor ein paar Generationen, den Schritt vom Tier zum denkenden Wesen gemacht hatte. Ihre Sprache bestand erst aus wenigen Worten, aber sie würden lernen, wenn die unerbittliche Auslese der Natur ihnen Zeit genug dafür ließ.
    Denn sie waren bedroht, gejagt. Vor nicht langer Zeit – doch Zeit war ein unbestimmter Begriff in einer Welt,

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