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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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in der Tag und Nacht nur ein Wechsel von Graue zu Schwärze war und jede Jahreszeit der nächsten glich – waren sie mehr gewesen. Aber die Jäger hatten sie gefunden und mit ihren überlegenen Waffen erlegt, gegen die Beile aus Stein und Geweih keine Wehr boten. Immer weiter waren sie in die Sümpfe getrieben worden. Jetzt hockten die Letzten von ihnen auf der kleinen Insel, zitternd, bangend, wartend – auf was?
    »Tr’ang.«
    Einer von ihnen stieß es hervor, das größte Männchen, der Häuptling des Stammes. Sein Name war Ngong. Er war der Intelligenteste unter ihnen; er hatte sie aus den Küstenniederungen hierhergeführt. Doch je mehr Sicherheit sie fanden, umso weniger Nahrung gab es. Weiter in diese Richtung begann das steinige Land, das aus den Sümpfen anstieg. Dort gab es nichts zu essen mehr für sie: keine Molche, keine Aale, keine Fische. Dort lag Trockenheit und Tod.
    »Tr’ang.«
    Er hüpfte auf und nieder, wie um sich selbst Mut zu verschaffen. Mit dem langen, schleimigen Arm deutete er in den Nebel. Der Funke, der im Nebel glomm, konnte nur einen Ursprung haben.
    Tr’ang.
    Feuer.
    Der Häuptling platschte durch das knietiefe schwarze Wasser. Auch wenn der Sumpf hier flacher war als an der Küste, so war er doch nicht frei von tückischen Fallen, in die ein Unbedarfter tappen konnte. Doch Ngong fand seinen Weg mit einer untrügerischen Sicherheit. Die anderen folgten ihm, erst einer, dann auch die anderen. Eines der Weibchen, dessen Kleines schlaff an ihrer Brust hing, blieb noch eine Zeit lang hocken, dann ging es als Letztes dem Zuge nach.
    Je näher Ngong dem Feuer kam, desto zögerlicher wurde sein Schritt.
    Er wusste, wer diese helle, wärmende Flamme entfacht hatte, wusste es, noch ehe er ihn dort hocken sah. Sie hatten den Fremden schon die ganzen letzten Tage beobachtet, hier und da, im Nebel. Er war aus dem trockenen Land gekommen, von dorther, wo der Stein den Himmel berührte, aber er war wie sie. Oder fast wie sie. Seine Haut war heller als die ihre, aber auch er hatte Kiemen und Schwimmhäute an den Händen und Füßen, mit denen er durch das Wasser der Moore platschte. Hin und her war er gezogen, als suchte er irgendetwas. Doch jetzt hockte er regungslos auf einem Flecken und starrte in einen Tümpel zu seinen Füßen.
    Ngong war davon überzeugt gewesen, dass der Fremde sie nicht bemerkt hatte, als sie ihn beobachteten. Das Sumpfvolk war sehr gut darin, sich nicht zu erkennen zu geben; dies war ihre einzige Strategie zum Überleben gewesen. Jetzt, als der Fremde die Hand hob und ihn zu sich winkte, ohne ihn auch nur anzuschauen, war Ngong nicht mehr so sicher.
    Dann sah er, was der Fremde sah.
    Durch den schwarzen Teich zu seinen Füßen trieb eine Gestalt.
    Sie war nicht wirklich da, nur wie ein Spiegelbild, doch es gab nichts über dem Wasser, was diesen hellen Schatten in der Tiefe hätte werfen können. Sie war fremdartig und wunderschön: ein schmales, fein geschnittenes Gesicht mit großen, ausdrucksvollen Augen, geschwungene spitze Ohren, langes seidiges Haar. Es war eine Frau. Sie war in ein helles, eng anliegendes Gewand gekleidet, das vom Nebel, der sie umwallte, mal verhüllt, mal wieder freigegeben wurde.
    Und dann war da ein zweites Gesicht, das sich von einer Wasserfläche hob, als habe sie in einen dunklen Spiegel geblickt. Es war dieselbe Frau, nur jünger, frischer, unversehrt von den vielen Wechselfällen des Lebens. Sie stand in einem Garten, der erfüllt war von Sternenlicht. Ihr gegenüber, am Ufer des Teiches, stand ein Mann. Er war ebenso jung wie sie und doch älter, weiser. Er hielt etwas in der Hand, das aufblitzte, als er es ihr reichte.
    Es war ein kleines, kostbares Ding, rund wie der Kreis der Welt.
    Sie barg es an ihrer Brust. Was die beiden, die Frau und der Mann, sprachen, war nicht zu hören. Aber ein Wort, ein Gedanke ging zwischen ihnen hin und her, der das Schicksal vieler verändern sollte.
    Dann wandte sie ihr Gesicht dem Betrachter zu, und Mitleid lag darin, Wehmut – und Liebe.
    Das Bild im Tümpel zersplitterte in einer Vielzahl von Wellen.
    Ngong zuckte zurück. Er hatte sich so weit herangewagt, dass er mit dem Finger die Wasserfläche berührt hatte. Und jetzt war das Bild, das er soeben gesehen hatte, zerstört, war unwiderruflich dahin. Nur noch der graue, jagende Himmel spiegelte sich in dem schwarzen Wasser.
    Der Fremde sah auf. In seinem Gesicht lag ein solcher Widerstreit von Gefühlen, dass keines für länger als einen

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