Die Herren der Zeit
Dämmerung.
»Lasst uns vorbei!« Talmonds Stimme war kalt wie Eis. »Dies ist eine Sache zwischen eurem Herrn und mir. Stellt euch nicht dem Schicksal in den Weg, oder ihr werdet es auf ewig büßen.«
Einen Augenblick standen die dunklen Gestalten unschlüssig unter dem Torbogen. Dann wichen sie zur Seite, um eine Gasse zu bilden.
Talmond rannte wie ein Irrer die Rampe hinauf. Die anderen konnten ihm kaum folgen. Es war, als hätte den Fürsten von Thurion eine neue Kraft erfüllt – oder als mobilisierte er noch einmal seine letzten Reserven.
Kim, der mit einem verzweifelten Spurt den Anschluss zu seinen Freunden zu halten suchte, hörte im Vorübergehen, wie die Dunkelelben untereinander flüsterten.
›Azanthul muss kommen.‹
›Wir dürfen nicht länger warten.‹
›Wir müssen ihn rufen. ‹
Die anderen waren bereits ein weiteres Stück voraus. Kim war gar nicht bewusst gewesen, dass er wieder stehen geblieben war. Das Brennen, das von dem Ring in seiner Hand ausging, kam jetzt nicht mehr in pulsierenden Wellen; es war eine einzige, lodernde Flamme.
Der Schattenfürst hat alle Zeit der Welt. Er weiß, dass wir zu ihm kommen. Er braucht nur zu warten.
»Wa-wa …«
Kim brachte keinen Laut mehr hervor. Er ging weiter, Schritt für Schritt. Die ansteigende Fläche schien kein Ende zu nehmen. Jeder Schritt war eine Qual. Die überanstrengten Beinmuskeln schrien. Aber es war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den das glühende Ding in seiner Hand ausstrahlte.
Und zu der Erkenntnis, dass sie einen schrecklichen Fehler machten.
Der Vorplatz der Zitadelle lag vor ihm. Wind zerrte an seinen Kleidern, doch er brachte keine Kühlung. Er sah nicht mehr, wie Talmond mit Riesenschritten, immer drei Stufen auf einmal nehmend, die gewundene Treppe zur Plattform des Turmes hinaufstürmte. Für den Träger des Siebenten Ringes gab es nur noch das feurige Rad in seiner Hand und die Dunkelheit, die ihn umhüllte.
Fabian … Sein lautloser Schrei blieb ungehört.
Fabian, das Schwert …!
Talmond hatte die Zinnen des Turmes erreicht. Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug ihm für einen Moment den Atem.
Von der Spitze der schwarzen Feste breitete sich das ganze Schlachtfeld aus wie ein gewirkter Teppich. Doch mehr noch als das: Mit einer übernatürlichen Klarheit sah man jede einzelne Veränderung in diesem Muster von Kette und Schuss, Zug und Gegenzug, Angriff und Verteidigung. Ja, man sah selbst die Krieger, die auf diesem Feld gegeneinander stritten: dort die lichten Gestalten der Elben, da die stämmigen Zwerge, dazwischen Menschen und Bolgs in vielerlei Gestalten und ihnen gegenüber die schwarzen Heere der Dunkelelben.
Die hochgewachsene, in eine schwarzgeschuppte Rüstung gekleidete Gestalt, die an den Zinnen des Turmes stand, hob die Hand und zeigte auf eine Stelle des Schlachtfeldes. Eine Gruppe von Bolgs war dort im Vormarsch, angeführt von einem riesenhaften Kämpen, den ein roter Mantel umwehte.
Von dem Finger des Schattenfürsten ging ein Strahl aus, der nicht aus Licht, sondern aus reiner Dunkelheit zu bestehen schien. Wo er auftraf, riss das Gefüge der Welt auseinander, ein Loch tat sich auf, und heraus strömte ein neues Heer von Dunkelelben.
»Hier bin ich!« Talmond hatte sein Schwert gezogen, jenes elbische Schwert, das in seiner mächtigen Faust wie ein Spielzeug wirkte. Doch es war eine tödliche Waffe, scharf geschliffener Stahl.
Langsam wandte der Schattenfürst sich um. Sein Blick war verächtlich, wie der einer höheren Kreatur, die auf ein besonders hässliches Insekt blickt, das zu zertreten sie im Begriff ist. Langsam zog er sein Schwert. Die schwarze Klinge war wie Rauch gemacht, spiegelnd wie Glas, tückisch und gefährlich.
»Für die Freiheit!«, schrie Talmond und rannte mit erhobener Waffe auf seinen Gegner zu.
Azrathoth lachte. Das schwarze Schwert fuhr empor, und traf sich funkensprühend mit der Klinge des Angreifers. Ein singender Laut, und Talmond starrte auf das Heft des geborstenen Schwertes, das in seiner Hand verblieben war.
›Ahhhhh …!‹
Wieder fuhr die schwarze Klinge nieder. Mit einer Reflexbewegung warf sich der Fürst zur Seite. So streifte der Hieb, der ihm den Kopf gespalten hätte, nur seine Hüfte und hinterließ eine blutige Spur an seiner Seite.
Talmond brach in die Knie. Er hob das Schwert mit der abgebrochenen Klinge, in einem letzten Versuch, sich zu verteidigen, als er bereits die Waffe seines Gegners kommen spürte.
Doch es war nicht
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