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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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klammen Morgenkühle war es unwahrscheinlich, dass sie es wieder richtig in Gang bekamen. Es sei denn, mit ein wenig Elbenmagie … aber Gilfalas und Ithúriël machten keine Anstalten, einen irgendwie gearteten Zauber zu wirken. Kim seufzte. Es war jedes Mal dasselbe. Wenn man erst einmal mitten in der Geschichte drinsteckte, dann war das Abenteuer weit weniger angenehm, als es in den Büchern zu lesen war …
    Er runzelte die Stirn. Woran erinnerte ihn das? Gedankenlos nahm er seinen Rucksack vom Boden auf und drehte ihn in den Händen. Seine Finger ertasteten etwas Hartes, Eckiges.
    Und plötzlich war die Erinnerung wieder da. Wie er den Rucksack aus dem Morast gefischt hatte, bei ihrer Flucht aus der schwarzen Feste. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren, was sie aus Elderland mitgebracht hatten.
    Mit fliegenden Fingern löste er die Verschnürung des Rucksacks und zerrte ihn auf. Zwischen Päckchen und Beuteln, Feuerstein und Zunderbox mit reichgeschnitztem Deckel, einem aufgerollten Seil, das geschmeidig durch seine Finger glitt, und diesem und jenem Elbenwerk fand seine wühlende Hand schließlich das, was er suchte: kantig, flach, in Leder gebunden. Er zog es heraus.
    »Kim, du kannst jetzt nicht anfangen zu lesen«, drang Fabians leicht missbilligende Stimme an sein Ohr. »Aber …«
    »Pssst!« Ithúriëls Stimme war leise und doch nicht zu überhören. Kims Kopf ruckte hoch. »Bewegt euch ganz natürlich, als wäre nichts geschehen!« Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie dastand, mit dem Bogen in der Hand. Sie holte einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf die Sehne. Gedankenschnell spannte sie den Bogen und ließ den Pfeil zischen.
    Mit einem ›Karrrk!‹ flatterte der Rabe auf, aber zu spät. Der Pfeil hatte seinen Flügel durchbohrt, und ehe er sich befreien konnte, traf ihn ein zweiter Pfeil Ithúriëls in die Kehle und nagelte ihn an den Boden. Das Funkeln in seinen Augen erlosch.
    »War das … der Rabe von gestern?«
    Ithúriël ließ den Bogen sinken. »Gewiss kein gewöhnlicher Rabe«, sagte sie. »Er hat uns beobachtet. Ich sah es in seinem Blick.«
    »Seit langem versuchen unsere dunklen Brüder, die Lage des Verborgenen Tals zu erkunden«, erklärte Gilfalas, der hinzugetreten war. »Es würde mich nicht wundern, wenn sie Späher im Zerbrochenen Land hätten, die ihnen alles Ungewöhnliche berichten.«
    »Dann lasst uns aufbrechen«, entschied Fabian. »Jetzt gleich.«
    Kim stopfte das Buch in seinen Rucksack zurück; dafür war immer noch Zeit. Aldo half ihm, seine Decke zusammenzurollen und den Esel zu beladen, während die anderen die Asche des Feuers zerstreuten und die letzte Glut austraten.
    In Schweigen marschierten sie los. Der Himmel, der gestern so weit erschienen war, lastete über der Welt, und sie kamen sich schutzlos und winzig vor in der riesigen Öde. Morgendunst lag über dem Land und sammelte sich in den dunkleren Tälern hinter den geschwungenen Kuppen des Vorgebirges. In dieser nebligen Weite hallte jeder Schritt doppelt laut, wurde jeder losgetretene Stein zu einer klackenden Felslawine.
    Der Weg, der sich, dem Lauf der Sonne folgend, allmählich von Osten nach Süden wandte, führte nun bergab. Es war schon heller Vormittag, als sie den Talgrund erreichten. Der Nebel hatte sich inzwischen verflüchtigt. Doch nun wurde der Blick von den aufsteigenden Wänden zur Rechten und zur Linken eingegrenzt, deren Fuß von dunklen Föhren bedeckt war. In den geschützten Winkeln lag noch Schnee. Doch was Kim frösteln ließ, war nicht der kalte Hauch, der von dort her wehte.
    »Ich hab das Gefühl, dass man uns von allen Seiten beobachtet«, flüsterte Aldo ihm zu.
    »So geht’s mir auch«, gab Kim ebenso leise zurück. »Ich wünschte mir, wir wären schon an unserem Ziel. Ich habe da etwas gefunden, was …«
    »Still!«, sagte Fabian. »Jemand könnte uns hören. Es gibt hier Räuber und Gesetzlose; wir wollen kein Aufsehen erregen.«
    Das Tal öffnete sich, und sie betraten die Welt der Menschen.
    Es war eine Welt von Bäumen. Kim hatte von den Wäldern des Borderlands gehört und auf Landkarten gesehen, wie sie sich Meile um Meile an den nördlichen Grenzen des Imperiums erstreckten. Aber selbst zu seiner Zeit als Student in Allathurion hatte er sich nie dorthin vorgewagt. Er hatte auch nie gewusst, dass sie so dicht waren; nahezu undurchdringlich, erschien es ihm. Oder waren sie in dieser Welt dichter, als er sie kannte, weil der Arm des Gesetzes und die Axt des

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