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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Holzfällers nie hierhin vorgedrungen waren?
    Sie folgten dem gewundenen Pfad, der durch den Wald nach Süden führte. Gegen Mittag rasteten sie auf einer Lichtung, aber sie hielten sich gerade nur lange genug auf, um Atem zu schöpfen, dann zogen sie weiter. Es war schon Nachmittag, als die Wälder allmählich lichter wurden. Der Waldweg wurde zu einem breiteren Karrenpfad. Zur Rechten und zur Linken leuchtete die hellere Erde von Feldern zwischen den Baumhecken, und in der Ferne sah man Menschen auf dem Felde arbeiten, die die Scholle für die Frühlingssaat umbrachen.
    »Was machen wir, wenn sie uns sehen?«, fragte Kim, an Gilfalas gewandt.
    »Vertrau mir«, sagte der Elbe. »Sie werden uns nicht sehen.«
    Und in der Tat, als ihr Weg nahe einer Gruppe von Feldarbeitern vorbeiführte, wandte keiner von ihnen den Kopf, um zu ihnen aufzusehen. Es waren verhärmte Gestalten, in Kittel aus ungebleichtem Leinen gekleidet und barfuß, trotz der noch kühlen Witterung. Niemand von ihnen schien sich über die seltsame Gruppe zu wundern, die aus dem Niemandsland nach Süden gezogen kam. Hatten sie einfach genug mit sich selbst und mit ihrer Arbeit zu tun, dass sie sich nicht ablenken ließen? Trauten sie sich nicht, zu den hohen Herren aufzublicken, die auf dem Weg entlangmarschiert kamen? Oder war es noch ein Rest jenes Elbenzaubers, der Täuschung der Sinne, von der Fabian gesprochen hatte?
    »Die scheinen uns nicht zu sehen«, raunte Aldo Kim zu.
    »Oder sie wollen uns nicht sehen«, gab dieser zurück. »Wie dem auch sei, es kann uns nur nützen.«
    Im weiteren Verlauf des Nachmittags geschah es ihnen noch mehrmals, dass sie an Bauernhöfen oder Feldern vorbeikamen, wo Menschen arbeiteten. Aber keiner schenkte ihnen auch nur die geringste Beachtung. Einmal begegnete ihnen ein voll beladener Karren, gezogen von einem Joch Ochsen. Sie machten ihm Platz, und der Fahrer, ein Mann mit tief in die Stirn gezogener Kappe, trieb sein Gespann wortlos an ihnen vorbei.
    Dann endlich erblickten sie die Stadt.
    Das heißt, zuerst sahen sie den Fluss, an dem sie errichtet worden war, wie viele Städte der Menschen. Sie erkannten eigentlich erst, wo sie waren, als sie hinter ein paar lang gestreckten Höfen, die sich zwischen Buschwerk und Bäumen die Hügelhänge hinaufzogen, die Brücke erreichten. Die Brückenpfeiler waren aus großen Quadern gefügt, und die Brücke selbst aus schweren Holzbohlen. Erst als sie schon auf dem Brückenkopf standen, hörten sie das Rauschen des Wassers. Aber sie achteten kaum darauf, weil der Anblick der Stadt sie gefangen nahm.
    Allathurion lag in der Abendsonne, die sich fern im Westen dem Meer zuneigte. Mauern und Häuser lagen halb im roten Abendschein, halb schon in bläulichen Schatten. Nur eine Stelle in der Stadt schien das Licht der sinkenden Sonne nicht zu berühren. Über der Stadt, in ihrem Zentrum, erhob sich ein mächtiger, viereckiger Turm, der nach oben in vier Laternen auslief, die wie stumpfe Nadeln in den Himmel stachen, umgeben von flackernden Schatten, Schwärmen von schwarzen Fledermäusen gleich. Schwarz war auch der Turm, und kein Schimmer des Abendlichts brachte seine dunkle Fassade zum Glühen. Dort, wo er stand, herrschte immer währende Nacht.
    »Was ist das?«, fragte Kim voller Staunen.
    »Ich kenne es als das Collegium Arcanum«, sagte Fabian, »das Kolleg der Schwarzen Magie.«
    »Und dort hast du studiert?«
    »Nein, natürlich nicht.« In Fabians Stimme schwang Verärgerung, aber auch Unsicherheit. »Ich war am Historischen Seminar, wie du auch … das heißt, ich habe hier eigentlich nicht richtig studiert, aber …?« Er verstummte. »Ich weiß selber nicht mehr, was ich getan habe. Aber ich sehe vor meinem inneren Auge die alte Universität, wo wir Freunde waren …«
    Und während er dies sagte, war es Kim, als legte sich über dieses erschreckende Bild ein anderes: das der Alma Mater Altae Thurionis mit ihren vertrauten, bröckeligen Sandsteinfassaden und ihrem verstaubten Charme der Gelehrsamkeit. Doch im selben Augenblick war es schon wieder wie weggewischt, ausgelöscht durch die andere Wirklichkeit, in der sie sich befanden.
    »Wir können hier nicht stehen bleiben«, drängte Gilfalas. »Wir müssen weiter.«
    Ihre Schritte hallten hohl auf der Brücke. Die andere Seite der Brücke war von einem Torturm eingefasst; rechts und links zogen sich entlang des Flusses mächtige Mauern dahin, an die Kim sich gar nicht erinnern konnte. Das Brückentor bot den

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