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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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unwirtlich. Verwitterte Steinbrocken säumten den Pfad, und manchmal mussten sie selbst von einem Stein auf den anderen klettern, an Stellen, wo ein Weg kaum noch zu erkennen war. Das Zerbrochene Land, so war es auf den alten Karten bezeichnet, und so sah es auch aus: als hätten in grauer Vorzeit hier Riesen gegeneinander gekämpft, in einer Schlacht, in der kein Stein auf dem anderen geblieben war. Oder als hätte sich das Land selbst gegen einen übermächtigen Feind erhoben und sei von ihm zerschmettert worden.
    Als er schwer atmend den ersten Hügelkamm erreichte, wandte Kim sich noch einmal um und sah zurück in Richtung des Verborgenen Tales. Dunst hing über dem Tal, ein feiner, flimmernder Nebel, der alles darin verschwimmen ließ wie eine Luftspiegelung, die man bei allzu großer Hitze sieht. Kim blinzelte. Einen Moment lang hätte er schwören können, dass er nichts vor Augen hatte als eine steinige Öde. Dann sah er wieder die Bäume und die hellen Wege dazwischen, das Aufblitzen von Wasserflächen. Oder auch nicht.
    »Darum heißt es das Verborgene Tal«, meinte Fabian, der zu ihm aufgeschlossen hatte. »Deceptio Visus nennen es die Gelehrten, die Täuschung der Sicht, doch die einfachen Leute sagen einfach ›Glimmer‹ dazu. Nur die Elben vermögen es, Licht und Schatten so zu verweben, dass man nicht weiß, ob man etwas sieht oder nicht.«
    »Und wenn es dem Feind doch gelingt, den Nebel zu durchdringen? Den Dunkelelben, zum Beispiel? Was wird dann aus dem Verborgenen Tal?«
    »Dann wird Galdor dafür sorgen, dass sie keine Freude daran haben«, sagte Fabian grimmig. »Du magst ihn nicht schätzen, Kim, weil er hart und manchmal engstirnig ist, aber es gibt keinen Besseren als ihn, um das Land zu schützen, bis der König wiederkehrt.«
    Da mochte er nicht unrecht haben, sagte sich Kim. Dann sah er zu, dass er weiterkam, und sparte sich seine Gedanken für näherliegende Probleme.
    Gegen Mittag legten sie eine kurze Rast ein und aßen von den mitgebrachten Vorräten: Brot, so leicht und locker, dass es aus Mehl und Luft gebacken zu sein schien. Nektar, der im irdenen Krug so kühl blieb, dass man den reinen Geschmack des Schnees darin zu kosten meinte, und der die Sinne befreite und das Herz höher schlagen ließ. Früchte mit einem Schimmer, als wären sie mit Gold bestäubt, und unter der Schale süß wie Honig und saftig wie Birnen.
    Ringsum war keine Seele zu sehen, weder von Menschen noch Elben, noch Bolgs. Falls Bolgs eine Seele besaßen, überlegte Kim, mit einem Seitenblick auf Gorbaz. Der ließ sich von keinen Gedanken stören, sondern schlang das Obst in sich hinunter wie den Fraß in der Legionärsmesse, so als wüsste er nicht, ob es morgen noch etwas zu essen geben würde. Wenn du jetzt auf unserer Seite stehst, mein Freund, dachte Kim bei sich, dann sollten wir zumindest an deinen Tischsitten arbeiten. Aber das Essen war zu gut, der Himmel weit und die Stimmung trotz der Verwüstung ringsum zu friedlich, um sich ernsthaft damit abzugeben.
    Den ganzen Rest des Tages blieben sie unter sich, bis auf einen Raben, der mit einem heiseren ›Roark, roark‹ über die felsige Öde strich und sich auf einem Stein niederließ. Mit funkelnden Augen blickte er um sich. Aber auch seine Suche nach einem Lebenszeichen schien vergeblich zu sein, so dass er schließlich mit mattem Flügelschlag wieder aufflog und sich auf dem Wind davonmachte.
    Am Abend schlugen sie im Schutz einer Felsgruppe ihr Lager auf und suchten in der Umgebung trockenes Holz für ein Feuer zusammen. Wie viel hätte Kim jetzt um einen nahrhaften Eintopf gegeben, aber dazu reichte die kleine Flamme nicht aus. So musste er sich mit heißem Kräutertee und weiterem Elbenbrot nebst Früchten begnügen. Jetzt, da der Reiz des Neuen vorbei war, stellte er fest, dass sie zwar nährten, aber doch irgendwie nicht richtig satt machten. Ein Blick, den er aus Aldos Augen auffing, zeigte ihm, dass es diesem ebenso erging. Nur Alexis mampfte zufrieden aus seinem Hafersack.
    Nach einer halb durchwachten Nacht auf harten Steinen, in der Kim immer wieder in das Dunkel lauschte, ob nicht doch irgendetwas zu hören sei, fiel er schließlich in einen unruhigen Schlaf. Er wurde erst wach, als Fabian, der die letzte Wache hatte, ihn rüttelte.
    »Komm, aufstehen. Wir müssen heute noch weit.«
    Schlaftrunken rappelte Kim sich auf und suchte seine Sachen zusammen, um sein Bündel zu schnüren. Das Feuer war zu glimmender Asche herabgesunken, und in der

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