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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Fiedeln, Drehleiern und Tamburine. Das junge Ffolk auf dem Platz tanzt und lacht. Ein alter Ffolksmann, der seine Krücke beiseitegeworfen hat, stemmt einen mächtigen Humpen. Ein junger, etwas grobschlächtiger Bursche sitzt neben ihm auf der Bank und lässt ihn nicht aus den Augen. Die dralle, ältere Gutsfrau gegenüber erwidert den Zutrunk mit einem kräftigen Zug aus ihrem Gefäß.
    »Das sind Ohm Hinner und Karlo, mein Bruder. Und Gutsfrau Metaluna; erkennt Ihr sie nicht?«
    Ein feister, prächtig gekleideter Ffolksmann bahnt sich seinen Weg durch die Menge; alle machen ihm respektvoll Platz. Ihm folgt eine zweite, nicht ganz so prächtig gekleidete, zierlichere Gestalt.
    »Mein Vater! Er lebt. Und bei ihm … Mutter!«
    Das Bild zersprang. Eine Vielzahl winziger Wellen breitete sich aus, lief von den Rändern wieder zurück und kreuzte sich, bis nichts mehr zu sehen war als ein flimmernder Spiegel.
    »Du darfst das Wasser nicht berühren, junger Ffolksmann. Dann ist es vorbei.«
    Aldo blickte auf. Tränen liefen ihm über das Gesicht.
    »Aber sie leben noch, nicht wahr? Sonst könnte ich sie ja nicht sehen. Ich meine, es gibt sie noch, irgendwo da draußen …«
    Die Stimme Ithúriëls war sanft und mitfühlend, als sie erwiderte: »Ja, Aldo, es gibt sie noch. Es gibt sie noch im Geiste des Göttlichen Paares, des Vaters und der Mutter, wie ihr sie nennt. Doch den Weg dorthin kann dir kein Zauber eröffnen; man kann ihn nur noch mit dem Herzen finden.«
    »Aber Ihr habt sie doch auch gesehen, Herr Kimberon!«, fuhr Aldo fort, an Kim gewandt. »Wie sie das Frühlingsfest feierten, meine Familie und die anderen alle …«
    »Ich habe nichts gesehen«, sagte Kim. »Nur den Teich im Mondlicht.«
    Aldo wandte sich ab. Seine Schultern zuckten, und aus seiner Kehle drang ein trockenes Schluchzen, wie ein Schluckauf, den er nicht unterdrücken konnte. Kim legte den Arm um ihn. »Wir werden sie wiederfinden«, versprach er ihm, »du und ich, wir beide. Der eine hier, der andere dort.«
    Aus dem Dämmerdunkel löste sich der Schatten des Bolg.
    »Mach Zauber für Gorbaz!«, knurrte er. Die Elbenprinzessin wich zurück. Es war eine unwillkürliche Bewegung, so, als wäre aus der tiefen Nacht ein noch tieferer Schrecken aufgetaucht, ein Monster aus der Leere jenseits von Raum und Zeit.
    »Ich kann keinen Zauber für dich wirken, beleg«, sagte sie.
    Doch der Bolg ließ sich nicht abwimmeln. »Du machst Zauber für alle anderen, warum nicht für Bolg? Ich bin ausgestoßen von meinem Volk. Ich bin jetzt einer von euch. Ich bin kein Ungeziefer. Ich denke. Ich spreche. Und ich kämpfe. Für euch. Mach Zauber für Gorbaz.«
    Es war die längste Rede, die Kim den Bolg je hatte halten hören, und sie beeindruckte ihn von Satz zu Satz mehr. Was Gorbaz sagte, war in eine einfache Sprache gekleidet. Aber war es nicht die Wahrheit?
    Auch Ithúriël sah mit einem widerwilligen Respekt auf ihren ungeschlachten Gefährten, und in ihrer Stimme lag fast so etwas wie Bedauern, als sie sagte: »So weit reicht meine Macht nicht. Damit mein Zauber wirken kann, musst du daran glauben.«
    »Ich glaube«, sagte Gorbaz.
    Ithúriël schwieg. Dann neigte sie ganz sacht den Kopf, als wollte sie damit sagen: Dann muss es eben so sein. »Warte!«, sagte sie.
    Sie trat an den Rand des Wassers, beugte sich nieder und schöpfte mit der hohlen Hand daraus. In ihrer anderen Hand hielt sie eine Phiole aus Kristall, die vorher nicht da gewesen war. Das Wasser des Teiches glitzerte wie flüssiges Silber, als sie es in das Gefäß rinnen ließ. Sie verschloss es mit einem Stöpsel, der ebenfalls aus geschliffenem Kristall war, und reichte es dem Bolg.
    Gorbaz nahm das Fläschchen und drehte es unschlüssig zwischen seinen groben Fingern. »Was ist das?«
    »Das ist mein Geschenk an dich. Ob es ein Zauber ist und, wenn ja, was er bewirkt, wird die Zeit erweisen, wenn dein Glaube stark genug ist.«
    Gorbaz sagte immer noch nichts.
    »Das muss dir genügen«, endete sie.
    »Es genügt«, knurrte er. »Es ist mehr als genug, Elokh-khanûm.« Unendlich vorsichtig verstaute er es in einer der Taschen, die an seinem Gürtel hingen.
    »Und jetzt geht, und schlaft«, sagte Ithúriël. »Wir brechen morgen in aller Frühe auf.«
    Sie sahen sie an, und jetzt war nichts Übernatürliches mehr an ihr, wie sie da stand: eine schlanke, zierliche Elbenmaid, in Weiß gekleidet. Der Mond hatte sich hinter die Baumwipfel gesenkt, und der einzige Glanz, der noch auf ihr lag, kam

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