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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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einer Unzahl von Diagrammen, Tabellen, Formeln und Beweisen, beruhend auf langen Berechnungen und zahllosen Beobachtungen. Und dies alles nur, um den scheinbar widersinnigen Lauf der Gestirne zu erklären, die sich mal in gerader Bahn über den Himmel bewegten, mal in ihrer eigenen Spur zurückliefen oder gar, je nach dem Grad der Ekliptik, kunstvolle Schleifen zogen.
    Ob der mathematischen Leistungen des Gelehrten, der dies alles ergründet hatte, konnte Kim nur den Hut ziehen, vor allem, weil er das meiste davon sowieso nicht verstand. Andererseits hatte er sich schon damals gefragt, warum das Göttliche Paar – oder welch höheres Wesen die Welt zur Vollkommenheit geschaffen hatte – nach einem derart komplizierten System vorgegangen war, dass selbst die größten Gelehrten solche Mühe aufbringen mussten, dessen Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Hatte er sich doch mit dem schlichten Sinn des Ffolksmanns gesagt, dass eine einfache Erklärung immer besser ist als eine komplizierte, weil sie nicht nur richtiger, sondern auch schöner ist.
    Die Ffolksleute, auch wenn sie stolz auf ihre eigene Zeitrechnung waren, maßen das Jahr nach Aussaat und Ernte, nach Mittsommer- und Julfest. Und wenn sie das Gefühl hatten, dass sich ihre Uhr gegenüber der des Kosmos allzu sehr verschoben hatte, dann strich der Rat von Elderland eben einen Tag im Jahreslauf, und alles war wieder in Ordnung.
    Das, was Kim hier sah, war komplizierter. Es vermaß nicht nur die Sterne und die Zyklen des Makrokosmos, sondern auch Jahreszeiten mit ihren hellen und dunklen Phasen, Mondzyklen, Wochen, Tage, Stunden, Minuten, bis in die kleinsten Einheiten der Zeit …
    »Ein Kalender!«, rief er aus. »Es ist eine Art Kalender, Fabian …«
    Doch der hörte nicht hin. Er stand an der Tür, die er eine Handbreit aufgestoßen hatte, und starrte hinaus. Der Anblick, der sich ihm bot, schien ihn so in Bann geschlagen zu haben, dass er alles andere um sich herum vergessen hatte.
    Kim trat hinzu. Fabian machte ihm Platz, und dann sah Kim es selbst.
    Er blickte hinaus auf eine Landschaft aus Stein. Vor ihm erstreckten sich Mauern und Wehrgänge, durchbrochen von gepflasterten Höfen. Fahles Licht lag über dem Land. Irgendwo hinter den fernen Bergen hob sich die Sonne aus den Tiefen der Nacht, sodass sich aus dem Nebel immer mehr und noch mehr Mauern schälten. Es war eine gewaltige Burganlage, deren Ausmaße kein Ende nehmen wollten. Ohne Ziel und Zweck schien sie angelegt zu sein, doch einem geheimen Gesetz gehorchend, wie ein Mollusk, das eine Schicht nach der anderen um sein Gehäuse gelegt hatte. Und alle Schalen dieses Gehäuses waren gekrönt von dreigelappten Zinnen.
    »Die Hohen Mauern der Finsternis«, staunte Kim. »Wir sind in Agrachuridion, der Feste des Dunklen Imperiums.«
    Dann, als seine scharfen Augen den Nebel durchdrangen, sah er noch etwas. Er runzelte die Stirn. Zwischen den Mauern gab es Bewegung. Etwas klang herauf wie eine rhythmische Melodie. Und dann hörte er scharfe Befehle, von Bolg-Kehlen gebrüllt, und das Klatschen von Peitschen.
    »Da sind Arbeiter«, meinte er zu Fabian. »Die Aufseher scheinen Bolgs zu sein, aber die Arbeitssklaven sind Menschen.«
    »Menschen?« Fabian streckte den Kopf vor. »Ich glaube, du hast recht. Und da sind noch mehr.« Er wies mit der Hand. »Und dort! Was machen die vielen Arbeiter hier? Komm, wir müssen uns das ansehen!«
    Er öffnete die Tür so weit, dass er hindurchschlüpfen konnte, und sprang ins Freie. Vor dem Eingang war eine gemauerte Treppe, die sich über einen Bogen spannte, aber Fabian war mit einem Satz zur Seite in ihrem Windschatten gelandet.
    »Warte auf mich!«, rief Kim.
    Als er aus der Tür trat, traf ihn der Wind mit ganzer Wucht. Der Luftzug war so stark und unerwartet, dass er ins Taumeln geriet und auf das Pflaster unter ihm gestürzt wäre, wenn Fabian nicht gedankenschnell zugegriffen und ihn aufgefangen hätte. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss.
    Ihre Blicke gingen nach oben. Über ihnen erhob sich ein massiver Turm, zusammengehalten von mächtigen Eisenklammern, die ihn wie ein Panzer umgaben, und mit dreigelappten Zinnen, welche blutige Wunden in die Wolken selbst zu reißen schienen. Darüber war nichts mehr, nur der fahle, rötliche Himmel.
    Aber dies war noch nicht alles, denn an den Turm schloss sich ein Komplex anderer Bauwerke: ein Palas und Kemenaten, Wirtschaftsgebäude, selbst Stallungen und weitere Anbauten, deren Zweck man nicht ersehen konnte. Das

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