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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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starrten. Hier und da wies eine knöcherne Hand anklagend gegen den mitleidlosen Himmel.
    Es war still, schrecklich still. Nur hier und da schwarze Schatten, wie Boten des Todes, die zwischen den Steinen hockten und dann und wann mit mattem Flügelschlag aufflogen, um sich ein Stück weiter niederzulassen.
    Der Gestank, der die Luft erfüllte, ließ Kim würgen, aber es kam nur ein trockenes Husten dabei heraus. Einen Augenblick lang hatte er wirklich geglaubt, im Reich des Todes angelangt zu sein, jenseits aller Hoffnung, doch nun erkannte er, was Fabian gemeint hatte. Vor ihm ragten schwarz die Mauern der Finsternis empor, gekrönt von dreigelappten Zinnen, und in der schier endlosen Fläche der Mauern gähnte das Loch, das sie ausgespien hatte.
    Sie hatten die Feste der Schatten hinter sich gelassen – aber um welchen Preis!
    »Die Elben begraben ihre Toten in fruchtbarer Erde und pflanzen Blumen auf die Hügel, unter denen sie schlafen«, sagte Fabian. »Die Zwerge setzen die Ihren am Ende der Tage bei in unvergänglichem Gestein. Die Menschen des Ostens verbrennen die Verstorbenen, habe ich mir sagen lassen, und die des Südens balsamieren sie ein und legen sie in Sarkophage aus Gold und errichten gemauerte Pyramiden über ihren Häupten. Wenn mich einst das Schicksal aus den Mittelreichen abberuft, wird man mich in die Gruft zu meinen Vätern legen. Aber selbst dem einfachsten Bauern meines Volkes werden sechs Bretter für einen Sarg nicht verwehrt. Es gehört zu den Urgründen einer jeden Kultur, den Toten die Ehre zu erweisen, auf dass die Erinnerung bewahrt bleibe, die unser Erbe ist. Doch sie einfach fortzuwerfen wie Abfall, das … das …« Ihm fehlten die Worte, um auszudrücken, was er sagen wollte.
    Kim legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich verstehe, was du meinst. Aber du kannst nichts daran ändern.«
    Fabian straffte sich. Eine Entschlossenheit schien ihn gepackt zu haben, die vorher nicht da gewesen war.
    »Aber ich kann verhindern, dass es so weitergeht. Komm. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Vielleicht ist es schon zu spät.«
    »Wohin willst du?«
    »Erinnerst du dich nicht? Sie wollen Talmond töten, meinen Ahnherrn, ehe er das Heer der freien Völker gegen die Schattenfeste führen kann. Wir müssen nach Thurion, um ihn zu warnen – und ihm zu helfen, soweit es möglich ist.«
    Kim wandte den Blick von den schwarzen Mauern in die andere Richtung, nach Süden. Die Sonne stand schon tief, aber es war noch nicht Abend, eher später Nachmittag. Er konnte also nicht allzu lange bewusstlos gewesen sein.
    Mühsam erhob er sich. Jeder Muskel in seinem Körper tat ihm weh, aber außer der Schramme an der Stirn und ein paar Blutergüssen schien er keine ernsthafte Verletzung davongetragen zu haben. Keine gebrochenen Rippen, keine verstauchten Gelenke. Es war wie ein Wunder. Es war das einzig Erfreuliche in einer ansonsten hoffnungslosen Lage.
    Vor ihm erstreckte sich im schwindenden Licht endlos das Land, Hügel um scharfgezackten Hügel, so weit das Auge reichte. Es sollte ihm vertraut sein, dieses Land, das seine Heimat war, aber er kam sich trotzdem vor wie ein Fremder in einer fremden Welt.
    Er seufzte. »Wohin soll es gehen?«
    Fabian, der immer noch am Boden kniete, sah zu ihm auf. »Der Weg entlang der Küste, durch die Sümpfe, dürfte unpassierbar sein. Also bleibt uns nur eine Route: über das Gebirge.«
    »Über den Steig?« Die alte Zwergenstraße, die zu der Passhöhe führte, von der aus einst – das heißt, irgendwann in der Zukunft, wenn es diese Zukunft überhaupt gab – das Ffolk zum ersten Mal auf die Hügel des Elderlands hinabschaute. Kim war schon einmal dort gewesen, und auch Fabian sollte es besser wissen. »Aber der Weg ist unpassierbar, die Brücke ist zerstört, der Pass …« Er stockte, als er seinen Irrtum erkannte.
    »Nicht in dieser Zeit«, sagte Fabian sanft. »Und wer weiß, vielleicht finden wir Hilfe dort.«
    Tränen schossen Kim in die Augen. Er wusste nicht, warum er plötzlich weinte; es hatte ihn einfach so überkommen. Fabian nahm ihn in den Arm.
    »Wir geben die Hoffnung nicht auf«, versuchte er ihn zu trösten und fügte, halb im Scherz, um seinen Freund aufzuheitern, hinzu: »Du weißt doch, gerade du wirst immer an den Ort geschickt, wo du am meisten gebraucht wirst.« Er stand auf. »Jetzt komm, bevor uns noch jemand hier draußen sieht.«
    Kim folgte ihm, immer noch halb blind von Tränen. Vielleicht war es eine Gnade der großen Mutter, ihm den

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