Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
kamen die amerikanischen Bankiers nicht mehr nach Berlin, weil sie von den phänomenalen Renditen im Inland verblendet waren.
Was Deutschland Anfang 1929 in die Rezession trieb, war eine Kombination aus der Austrocknung der Auslandskredite aufgrund der Blase am amerikanischen Aktienmarkt und dem immer noch bestehenden Mangel an Vertrauen unter deutschen Geschäftsleuten nach Schachts misslungenem Vorgehen gegen den Aktienmarkt 1927. Hinzu kam: Als die langfristigen Kredite aus Amerika rarer wurden, war Deutschland gezwungen, immer mehr auf das »heiße Geld« zu bauen. Ein Teil davon kam aus London, wesentlich mehr aber von französischen Banken, die damals einen Überfluss an all dem überschüssigen Gold genossen, das sich in ihrem Land angesammelt hatte. Daher glitt Deutschland genau zu dem Zeitpunkt in die Rezession ab, als es hinsichtlich der Verschuldung im Ausland immer anfälliger wurde. Ein hoher Beamter im britischen Finanzministerium, der sich daran erinnerte, wie viel Geld Frankreich vor dem Krieg nach Russland gepumpt hatte, konnte sich daher die folgende zynische Bemerkung nicht verkneifen: »Die Franzosen hatten schon immer einen sicheren Instinkt dafür, in bankrotten Ländern zu investieren.«
Der Kollaps der Auslandskredite und die Rezession hätten für Deutschland zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Laut Dawes-Plan hätte sich Deutschland inzwischen völlig erholt haben müssen und sollte 1929 seine Reparationszahlungen auf volle 625 Millionen Dollar pro Jahr erhöhen, was etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprach. Nach historischen Maßstäben wäre das keine untragbare Belastung gewesen. Aber Schacht war ebenso wie der größte Teil der führenden Schicht in Deutschland schon immer davon überzeugt gewesen, dass Deutschland diese Summe einfach nicht bezahlen konnte. Denn noch immer war die neue Verfassung fragil, die Politik war gespalten, die Menschen waren verbittert über die Niederlage im Krieg, und die Mittelschicht hatte unter den verheerenden Auswirkungen der Inflationsjahre gelitten.
Als das Jahr 1929 und die vorgesehene Erhöhung der Reparationszahlungen näher rückten, war sich Schacht nicht sicher, was er tun sollte. Oft sprach er darüber, einfach auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu warten, den so viele Finanzexperten vorhersagten. In Großbritannien war es eine verbreitete Ansicht, vertreten zum Beispiel von Frederick Leith-Ross, dem wichtigsten Beamten im Finanzministerium, der für die Reparationszahlungen verantwortlich war, dass die Welt vor einer massiven Zahlungskrise stand, in der verschiedene europäische Länder ihre Schulden nicht mehr würden zurückzahlen können – und dies sollte eine völlig neue Situation für die Restrukturierung aller internationalen Verpflichtungen schaffen, die noch vom Krieg herrührten. Dann würde Europa alle Reparationen und Kriegsschulden beiseite wischen und noch einmal ganz von vorn beginnen können. Gelegentlich hatte Schacht fast zu leichtfertig darüber gesprochen, selbst eine solche Umwälzung auszulösen.
Die Alternative waren neue Verhandlungen, ehe das bisherige Zahlungssystem zusammenbrach. Während des Treffens der Zentralbankiers auf Long Island 1927 hatte Schacht so viel Aufhebens um das Problem der deutschen Auslandsschulden gemacht, dass er Norman und Strong davon überzeugte, schnelles Handeln sei erforderlich. Strong drängte den Generalbevollmächtigten Seymour Parker zu einer schnellen Einigung, ehe ihnen die ganze Sache um die Ohren fliegen konnte.
Gilbert, im Prinzip der Prokonsul der Alliierten in Deutschland während der letzten vier Jahre, war erst 36 Jahre alt. Als frühreifes Genie hatte er schon mit 19 Jahren Rutgers und mit 22 Jahren die Harvard Law School absolviert, war mit 25 Jahren zu einem der vier stellvertretenden Sekretäre im US-Finanzministerium und mit 28 Jahren zum Stellvertreter des Finanzministers ernannt worden, was das zweitwichtigste Amt im Ministerium war. 1924, im zarten Alter von 32 Jahren, war er zum Generalbevollmächtigten für Reparationsfragen ernannt worden. Somit war er für das Management der deutschen Zahlungen und vor allem dafür verantwortlich, welche Summe Deutschland jedes Jahr in Dollars transferieren konnte. In den Händen dieses groß gewachsenen, schüchternen, jungenhaften Mannes aus New Jersey mit den sandfarbenen Haaren lag daher das unmittelbare Schicksal der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt.
Es gab kaum einen Zweifel an
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