Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Gouverneure, die sich so vehement für Zinserhöhungen eingesetzt hatten, um die Spekulation einzudämmen, als sich die Hausse entwickelte, hatte ihre Meinung inzwischen geändert. Sie setzten sich nun für »direktes Vorgehen« gegen die Spekulanten ein, weil sie fürchteten, eine Zinserhöhung in diesem Stadium werde der Wirtschaft schaden, ohne die Orgie an der Wall Street unter Kontrolle zu bekommen.
Anfang 1929 war die Spekulationsblase nicht mehr nur ein Problem für die Fed, sondern auch für fast jede europäische Zentralbank. New York zog zu einer Zeit Kapital aus dem Ausland an, als Europa noch sehr abhängig von amerikanischem Geld war. Die schwächsten Glieder der Kette waren Deutschland und die anderen mitteleuropäischen Länder. Aber auch die Bank of England büßte Gold ein. Hatte sie Anfang 1928 noch Reserven in Höhe von 830 Millionen Dollar gehalten, die höchsten seit dem Krieg, so waren diese bis Anfang 1929 unter 700 Millionen Dollar gefallen und sanken immer noch. Wenn die Goldreserven früher unter Druck gerieten, war es für gewöhnlich Normans erste Reaktion, seinen Freund Strong zu einer Lockerung der Politik der Fed zu drängen. Jetzt aber war ihm nur zu klar, dass sich angesichts der Entwicklung an der Wall Street niemand darauf einlassen würde. Daher dachte er sich eine andere Strategie aus.
Er kam am 27. Januar mit seinem neuen Vorschlag bewaffnet in New York an. Als er sich in der New Yorker Fed mit Harrison traf, überraschte Norman jeden, indem er sich für eine scharfe Erhöhung der amerikanischen Zinsen aussprach; möglicherweise um ein Prozent, vielleicht sogar um zwei Prozent, was den Diskontsatz auf sieben Prozent treiben würde. Die Fed sollte versuchen, »den Geist der Spekulation« zu brechen, den Markt durch eine kräftige Kreditverknappung zu »überwältigen.« Wenn sich die Psychologie erst einmal verändert hätte, könnte man die Zinsen wieder senken, und dann werde der Kapitalfluss nach Europa wieder einsetzen. Aus irgendeinem Grund glaubte Norman, die Fed könne mit einem chirurgischen Schnitt die Luft aus der Blase lassen und wieder auf den Boden bringen, ohne der Wirtschaft damit zu schaden. Das war eine völlig absurde Idee. Geldpolitik funktioniert nicht wie ein Skalpell, sondern eher wie ein Vorschlaghammer. Norman konnte weder mit Sicherheit sagen, wie hoch die Zinsen steigen mussten, um den Börsenboom unter Kontrolle zu bringen, noch konnte er mit irgendeiner Sicherheit prognostizieren, wie sich das auf die amerikanische Wirtschaft auswirken würde.
Dennoch war sein Einfluss so groß, dass Harrison die Idee begrüßte. Allerdings warnte er Norman, dass sich seit Strongs Tod innerhalb der Fed einiges geändert hatte. Der Konflikt zwischen dem Board und der New Yorker Fed war noch stärker geworden als in der Vergangenheit. Es gab nun eine allgemeine Übereinstimmung, dass es die USA mit einer Spekulationsblase am Aktienmarkt zu tun hatten. Aber in der Frage, wie man darauf reagieren sollte, war das System tief gespalten. Während die Reservebanken die Zinsen erhöhen wollten, war das Board nun dagegen, und es wollte seinen Willen aggressiv durchsetzen. Harrison selbst hatte gerade eine heftige Meinungsverschiedenheit mit dem Board über Fragen der Rechtsprechung hinter sich. Der Vorsitzende Young hatte ihn gewarnt, er und die anderen Boardmitglieder »wollten nicht länger nur ein Gummistempel sein.« Harrison drängte Norman, Washington zu besuchen – das er bislang ignoriert hatte – und mit dem Aufbau einer Beziehung zum Board zu beginnen, wenn er weiterhin Einfluss auf die amerikanische Kreditpolitik ausüben wollte.
Am 5. Februar fuhr Harrison, bestärkt durch seine Diskussionen mit Norman, selbst nach Washington und legte Young exakt Normans Vorschlag vor. Er wies die Idee zurück, die sein alter Chef Strong bis in seine dessen letzte Monate vertreten hatte – dass die Fed passiv bleiben und »die Situation weiterlaufen lassen« sollte, »bis sie sich von selbst korrigiert.« Stattdessen sprach er sich nun für »scharfe und prägnante Maßnahmen« aus, nämlich für eine Zinserhöhung um ein Prozent. Er war, wie er später sagte, zu der Schlussfolgerung gelangt, es sei besser, »den Aktienmarkt aus dem zehnten Stock statt später aus dem 20. Stock fallen zu lassen.« Wenn das Spekulationsfieber erst einmal gebrochen sei, könne man die Zinsen wieder senken. Am nächsten Tag tauchte auch Norman in Washington auf und überbrachte die gleiche
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