Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
seinen Fähigkeiten. Gilbert war reserviert, weltfremd und schweigsam, fühlte sich in Gesellschaft von Menschen nicht wohl und sprach »mit einer Mischung aus Ungeschicklichkeit und Arroganz, murmelte die Worte so, dass man sein Englisch kaum verstehen konnte.« Aber seine intellektuelle Kraft und sein Arbeitseifer waren legendär. Im Finanzministerium hatte er meist an sieben Tagen pro Woche bis um zwei oder drei Uhr morgens an seinem Schreibtisch gesessen. Er lebte fünf Jahre in Berlin, aber er hatte mit niemandem Kontakt, lernte kein Deutsch und tat nichts, als »ohne Unterbrechung zu arbeiten«, wie es der deutsche Finanzminister Heinrich Kohler ausdrückte. »Kein Theater, kein Konzert und keine anderen kulturellen Ereignisse hatten in seinem Leben Raum …«
Dass ein so junger Amerikaner so enormen Einfluss auf das Leben in ihrem Land hatte, sorgte bei den meisten Deutschen für große Verbitterung. Zudem verdächtigten Regierungsbeamte die Belegschaft seines Büros, Spione zu sein, die einen Bericht darüber verfasst hätten, dass Deutschland die Begrenzungen seiner Armee nicht eingehalten hatte, die im Versailler Vertrag vereinbart worden waren. Im Februar 1928 veranstaltete eine Gruppe aus der politischen Rechten vor 10 000 Zuschauern eine nachgespielte Krönung, bei der eine Figur, die Gilbert darstellte, »als neuer deutscher Kaiser mit einem Zylinder als Krone und einem Couponknipser als Zepter« gekrönt wurde. Schacht, der sich schon immer von den Schaltstellen der Macht angezogen fühlte, war einer der wenigen deutschen politisch Verantwortlichen, die sich mit Gilbert anfreundeten.
Abgesehen von seiner Macht bei der Festlegung der Transferzahlungen war der jährliche Bericht Gilberts stärkste Waffe. Er wurde von den Gläubigern Deutschlands immer ungeduldig erwartet, weil man ihn für die beste unabhängige Einschätzung der Wirtschaftspolitik und der Gesamtsituation Deutschlands hielt. Obwohl sich sicherlich mehrere Finanzminister darüber geärgert hatten, von diesem jungen Schlaumeier Lektionen über zu hohe Ausgaben erteilt zu bekommen, wagte es wegen seines Einflusses auf das Ausland kein deutscher Politiker, ihn herauszufordern.
In seinem im Dezember veröffentlichten Jahresbericht von 1927 erklärte Gilbert, nun sei für Deutschland die Zeit gekommen, die Kontrolle über sein eigenes wirtschaftliches Schicksal zu übernehmen – »in eigener Verantwortung, ohne Überwachung durch das Ausland und ohne Transferschutz.« Man sollte Deutschland ein für alle Mal genau sagen, wie viel Geld das Land für welchen Zeitraum schuldete. Zudem schaffe die im Dawes-Plan vorgesehene Transferschutzklausel, die 1924 nützlich gewesen war, um Kredite aus dem Ausland anzulocken, inzwischen ihre eigenen perversen Anreize – was wir heute als moralisches Dilemma bezeichnen würden. Durch die Ausstiegsklausel im Fall von Zahlungsproblemen ermutigte der Plan ausländische Bankiers, zu großzügig Geld zu verleihen und erlaubte es Deutschland, zu lax mit den Folgen der Akkumulation so hoher Schulden umzugehen, »ohne den normalen Anreiz, Dinge zu tun und Reformen durchzuführen, die klar im eigenen Interesse des Landes wären.« Gilbert kündigte auf diese Weise zwar an, dass er sich aus einer der mächtigsten finanziellen Positionen der Welt herausarbeiten wollte, aber in dieser Hinsicht war es hilfreich, dass er soeben das hoch lukrative Angebot erhalten hatte, Partner bei J. P. Morgan & Co. zu werden.
Auf der britischen und sogar auf der deutschen Seite gab es viele, die den Zeitpunkt für eine finanzielle Endabrechnung immer noch für verfrüht hielten. Die Verbitterung zwischen Frankreich und Deutschland hielt weiterhin an; die deutsche Wirtschaft brauchte noch Zeit zur Erholung, ehe die Summe der Zahlungen ans Ausland, die das Land leisten konnte, definitiv zu bestimmen war.
Ende 1928 hatte Gilbert die Alliierten mit Erfolg dazu überredet, im Februar 1929 in Paris eine Konferenz zu eben diesem Zweck abzuhalten. Er hatte sogar die alliierten Mächte in Berlin davon überzeugt, es sei das Beste, jetzt eine Einigung zu erzielen, während der Rest der Welt noch boomte. Dies obwohl die aktuelle Situation – keine neuen Auslandskredite, hohe Verbindlichkeiten gegenüber den nervösen französischen Inhabern von Guthaben bei deutschen Banken und eine steigende Arbeitslosigkeit im Inland – nicht der ideale Hintergrund für eine erneute Aufnahme der Verhandlungen war.
Allerdings gingen Gilbert und die
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