Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
mobilisieren, um einem Zusammenbruch der weltweiten Finanzen vorzubeugen.
An diesem Punkt, als eine Finanzkrise drohte, rettete Lord Revelstoke den Tag, indem er plötzlich tot umfiel. Die folgende Unterbrechung der Verhandlungen zwang alle Beteiligten für einige Tage zu einer Verschnaufpause und zum Rückzug vom Rand des Abgrunds. Schacht fuhr mit der deutschen Delegation zu Besprechungen nach Berlin. Dort fand er das Kabinett in heller Empörung vor. Er hatte sich deutlich übernommen. Außenminister Stresemann, der Schacht wiederholt zu warnen versucht hatte, seine Kompetenzen nicht zu überschreiten, fürchtete nun, dieser habe Deutschlands immer noch sehr heikle politische Position gefährdet. Andere Minister waren über die wirtschaftlichen Folgen im Inland besorgt. Es gab nicht nur bereits zwei Millionen Arbeitslose, sondern nun drohten Streikwellen, eine weitere Million Menschen um ihre Jobs zu bringen. Schachts riskantes Manöver drohte Deutschland in eine noch tiefere Rezession zu stürzen.
Schacht wehrte sich. Er beschuldigte Gilbert, ihn in die Irre geführt zu haben. Er wandte sich sogar gegen seinen früheren Mentor Stresemann, den er anklagte, seine Mühen untergraben zu haben, indem er vor Beginn der Konferenz den Alliierten nachgegeben habe und ihn nun wegen der politischen Konsequenzen im Inland zum Sündenbock machen wolle.
Während Schacht sogar in diesem Stadium noch willens war, eine globale Bankenkrise zu riskieren, war seine Regierung nicht dazu bereit. Aus Furcht, Deutschland könne wieder zu einer Paria-Nation werden, lehnte das Kabinett seine Position ab, zwang ihn zum Widerruf und bestand darauf, dass er zurück nach Paris fuhr und dort die Verhandlungen auf Basis des Vorschlags der Alliierten wiederaufnahm. Er erklärte sich widerwillig damit einverstanden, unter der Voraussetzung, dass das Kabinett ihm politische Rückendeckung gab und die abschließende Verantwortung für jede erzielte Einigung übernahm. Schacht hatte nicht die Absicht, den Prügelknaben für etwas abzugeben, was die Nationalisten als Ausverkauf interpretieren würden.
Die deutsche Delegation kehrte an den Verhandlungstisch zurück. Mitte Mai wurden die Besprechungen erneut für einige Tage unterbrochen – diesmal, damit Moreau den Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters seines kleinen Weilers Saint Léomer führen konnte. Einige Wochen später war ein Kompromiss erreicht. Deutschland würde in den nächsten 36 Jahren etwas weniger als 500 Millionen Dollar und dann 21 Jahre lang 375 Millionen Dollar zahlen, um die Schulden der Alliierten in den USA zu begleichen. Eine neue Bank, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) im gemeinsamen Eigentum aller großen Zentralbanken, sollte gegründet werden und diese zukünftigen Zahlungen wenn möglich verbriefen, also Anleihen auf sie emittieren. Eventuelle Gewinne der Bank sollten an Deutschland fließen, um die Last leichter zu machen. Jede ausländische Kontrolle über die deutsche Wirtschaftspolitik wurde beendet – Gilbert konnte seine Koffer packen und seine Stellung bei Morgan antreten. Die Transferschutzklausel wurde eliminiert. Man behielt allerdings ein kleines Sicherheitsventil bei: Sollte Deutschland in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, konnte es zwei Drittel der Zahlungen für zwei Jahre aufschieben.
Unter den gegebenen Umständen war dies sicherlich das Beste, was Schacht herausholen konnte. Als sich die Delegierten zur Zeremonie der Vertragsunterzeichnung im Konferenzraum des George V. trafen, gingen plötzlich die Vorhänge in Flammen auf. Die Blitzlichter der Fotografen hatten sie überhitzt und entzündet. Schacht sah dies als Vorzeichen. Er war bei den Verhandlungen erniedrigt worden, und bei seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er von allen Seiten kritisiert – von der Linken, weil er die Zukunft Deutschlands mit einem Manöver aufs Spiel gesetzt hatte, das gründlich daneben gegangen war, und von der Rechten, weil er seine Unterschrift unter eine Rechnung gesetzt hatte, die die nächsten beiden Generationen »in Fesseln legen« würde. Selbst seine Frau begrüßte ihn auf dem Bahnhof mit den Worten: »Du hättest das niemals unterschreiben dürfen.« Und obwohl er in der Öffentlichkeit den Young-Plan unterstützte, zeichnete er im privaten Kreis ein wesentlich dunkleres Bild von der Zukunft. »Die Krise ist vielleicht um zwei Jahre aufgeschoben worden, aber sie wird mit derselben Sicherheit und mit noch größerer Heftigkeit
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