Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Aktienmarkt geht. Letzteres gilt vor allem für professionelle Investoren, deren Ruf von dem Anschein abhängt, sie könnten das Börsengeschehen vorhersehen.
Im Februar verkaufte Owen Young sein gesamtes Depot im Wert von 2,2 Millionen Dollar, das teilweise kreditfinanziert war, weil er durch das fiebrige Niveau der Aktienkurse und den verbalen Krieg der Fed beunruhigt war. David Sarnoff, Youngs Vizepräsident bei RCA und Mitglied der amerikanischen Delegation bei der Konferenz in Paris stieg im Juni aus. John J. Raskob, der Mann, der aufrichtig wünschte, dass jeder reich sein sollte und im Ladies’ Home Journal wärmstens Aktien als Langfristinvestments empfahl, hatte offenbar den größten Teil seines Portfolios schon verkauft, ehe der Artikel erschien. Joe Kennedy erwischte noch den letzten Kursanstieg und verkaufte im Juli 1929. Bernard Baruch behauptete in seiner Autobiografie, er habe im September 1929 in einem schottischen Moor eine Erscheinung gehabt, sei nach Hause geeilt und habe Ende des Monats alles verkauft. Sogar Thomas Lamont, der unerschütterliche Optimist, verkaufte im Frühling und im Sommer wesentliche Teile seines Depots.
Selbst der größte Cheerleader von allen, der entschlossenste aller Bullen, Billy Durant, stieß seine Positionen ab. Im April 1929 ließ er sich durch einige Freunde ein Geheimtreffen mit dem Präsidenten arrangieren. Er schlich sich aus New York, wobei er sorgfältig darauf achtete, nicht einmal seinen Sekretär über sein Ziel zu informieren, nahm einen Zug nach Washington, sprang unerkannt in ein Taxi, kam um 21.30 Uhr im Weißen Haus an und wurde ins Arbeitszimmer des Präsidenten geführt. Er sagte Hoover, es gebe eine finanzielle Katastrophe, wenn die Fed ihre Attacke gegen den Aktienmarkt nicht abschwächen würde. Es ist nicht klar, ob sich Durant bewusst war, dass er hier seine Worte verschwendete und dass Hoover voll hinter der Kampagne der Fed stand. Schon bald nach dem Treffen scheint er gemerkt zu haben, dass seine Warnungen vergeblich gewesen waren. Am 17. April brach er an Bord der Aquitania nach Europa auf, und ein paar Wochen später begannen er und die meisten seiner Mitstreiter ihre Positionen zu liquidieren.
Aber hinter den Kulissen war das Board der Federal Reserve endlich einzugestehen bereit, dass seine Versuche einer »direkten Aktion« gescheitert waren. Nach Handelsschluss am 8. August gab die New Yorker Fed bekannt, dass sie den Diskontsatz von fünf auf sechs Prozent erhöhen werde. Am nächsten Tag fiel der Dow bei fieberhaftem Handelsgeschehen um 15 Punkte, was der höchste Tagesverlust in der Geschichte des Index war. Plötzlich realisierte man an der Börse allerdings, dass die Spekulanten bequem große Gewinne erzielten, obwohl sie auf dem Markt für Brokerkredite noch weit höhere Zinsen zahlen mussten. Innerhalb eines Tages wurden sämtliche Verluste wieder aufgeholt.
In den folgenden drei Wochen stieg der Dow um weitere 30 Punkte. Ein Kommentator schrieb, unter den dortigen Investoren herrsche die Art von »Panik, die Menschen an Roulettetischen festhält, die heimtückische Propaganda, einen Gewinn zu verpassen, die Furcht, von denen verspottet zu werden, die durchgehalten haben.« Es war symptomatisch für die Atmosphäre am Aktienmarkt, dass die Börsenfirma Saint-Phalle & Co. bekannt gab, sie habe einen direkten Handelsservice an Bord des Transatlantikschiffes Ile de France eröffnet. Ein paar Tage später bot M. J. Meehan & Co. eine ähnliche Dienstleistung auf der Berengaria und der Leviathan an.
Selbst Europa wurde in die Raserei hineingezogen. »Allein in London werden täglich viele Tausend amerikanische Aktien gekauft; Paris, Berlin, Brüssel und Amsterdam schaffen so schnell Geld nach New York, wie das Kabel es transportieren kann«, beklagte sich Viscount Rothermere in einer seiner Zeitungen, dem Sunday Pictorial . »Die Wall Street ist zu einer kolossalen Saugpumpe geworden, die der Welt das Kapital entzieht, und dieses Saugen führt hier rasch zu einem Vakuum. Daher steigen in ganz Europa die Bankzinsen. Das ist der Grund, warum der Bank of England ständig Gold entzogen wird und die Erklärung, warum der Präsident der Bank, Mr. Montagu Norman, so oft nach New York und Washington reist.«
Im Juli fuhr Norman zum zweiten Mal in diesem Jahr in die USA. Er verbrachte den größten Teil seiner Urlaubswochen mit seiner alten Freundin Mrs. Markoe in Bar Harbour in Maine, suchte aber auch Harrison in New York auf. Er kehrte
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