Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Wirtschaft zerfiel und blieb von jeder Schuldzuweisung frei.
Zu den Reparationen konnte er aber nicht auf Dauer schweigen. Für ihn war die Vorstellung völlig absurd, man könne ihnen entkommen, indem man Deutschland eine schreckliche Rezession auferlegte. Obwohl er die ersten Monate seines Ruhestands auf seinem Gut in Gühlen verbrachte, frustrierte ihn das Eingesperrtsein dort schon bald. Im Sommer 1930 brach er zu einer weltweiten Vortragsreise auf, erst nach Bukarest, dann nach Bern, Kopenhagen und Stockholm. Im September reiste er für zwei Monate in die USA.
In Amerika erregte er einiges Aufsehen. Mit seinem Kneifer und seinem charakteristischen Bürstenhaarschnitt war der »eiserne Mann« Deutschlands, wie das Magazin Time ihn nannte, sofort zu erkennen. Dem durchschnittlichen Leser der Londoner Times oder der New York Times war er mit Sicherheit besser vertraut als irgendeiner der letzten paar deutschen Kanzler. Er besuchte über 20 Städte und hielt vor College-Studenten, Professoren, Bankiers und Handelsvereinigungen in privaten Clubs und bei öffentlichen Veranstaltungen fast 50 Reden.
Meist sprach er über die Reparationen und wollte bei den Zuhörern Verständnis für die Verbitterung wecken, die in Deutschland über dieses Thema herrschte. »Sie dürfen nicht denken, dass die Menschen weiterhin lächeln, wenn man sie zehn Jahre lang so behandelt, wie das deutsche Volk behandelt worden ist.« Deutschland mit seinem Bruttoinlandsprodukt von 16 Milliarden Dollar, Exporten von drei Milliarden Dollar und Schulden von sechs Milliarden Dollar bei privaten Gläubigern aus dem Ausland konnte es sich einfach nicht leisten, jährlich 500 Millionen Dollar an Frankreich und Großbritannien zu zahlen. In Cincinnati erklärte er: »Die Reparationen sind der wahre Grund der weltweiten wirtschaftlichen Depression.« Überall fragte man ihn nach den jüngsten Wahlen und nach Hitler. »Wenn das deutsche Volk verhungert, wird es noch viele weitere Hitlers geben«, pflegte er zu antworten. Als ihn nach seiner Rückkehr nach Europa ein schwedischer Journalist fragte: »Was würden sie tun, wenn Sie morgen zum Kanzler gewählt würden?«, antwortete Schacht ohne zu zögern: »Ich würde noch am selben Tag die Reparationszahlungen einstellen.«
Im Januar 1931 machte er seine ersten tragischen Schritte auf dem faustischen Weg. Im Dezember 1930 hatte man ihn Hermann Göring vorgestellt. Trotz seines Umgangs mit Hugenberg, dem Führer der Nationalisten, hatte er bislang nur wenig Kontakt mit den Nazis gehabt, von denen er später sagte, er habe sie als Splittergruppe von Aufwieglern abgetan. Trotzdem war allgemein bekannt, dass Schachts Frau Hitler wie einen Helden verehrte und eine hingebungsvolle Anhängerin der Partei war. In ihrem Tagebuch erinnerte sich Bella Fromm, die diplomatische Kolumnistin der Vossischen Zeitung daran, wie sie den Schachts bei einem Empfang anlässlich der Silbernen Hochzeit eines prominenten Berliner Bankiers begegnete. Frau Schacht trug ein teures Hakenkreuz aus Rubinen und Diamanten an ihrer ausladenden Oberweite, und Fromm erinnerte sich an das Gerücht, Schacht selbst sei »sich nicht zu schade, das Hakenkreuz als seine Insignie zu verwenden, wenn er denkt, dies diene seinen Zwecken.« An diesem Abend sagte er ihr sogar: »Warum sollte man den Nationalsozialisten keine Chance geben? Mir scheinen sie recht schlau zu sein.«
Die Konversation bei seiner Begegnung mit Göring konzentrierte sich auf die »ökonomische Situation, den Anstieg der Arbeitslosenzahlen, die Ängstlichkeit der deutschen Außenpolitik«, und Schacht fand Gefallen an diesem »angenehmen, kultivierten« Mann.
Am 5. Januar lud Göring Schacht zusammen mit Fritz Thyssen, dem Vorsitzenden der gigantischen »Vereinigten Stahlwerke« ein, in seiner bescheidenen Wohnung in einem Mittelschichtviertel Berlins Hitler kennenzulernen – Göring hatte noch keinen Zugriff auf das Geld der Regierung, das es ihm später ermöglichte, zu dem korrupten Verschwender zu werden, der er in seinen späteren Jahren war. Der Anführer der Nazis erschien nach dem Abendessen, gekleidet in die gelbe und braune Uniform seiner paramilitärischen Truppen; Joseph Goebbels kam ebenfalls. Schacht gab zu, beeindruckt zu sein. Hitler war überraschend bescheiden und unprätentiös, vor allem für den Führer der zweitstärksten Partei im Land. In den nächsten beiden Stunden dominierte Hitler »trotz einer heiseren, ein wenig gebrochenen und nicht selten
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