Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
versammelten sich die Partner von Morgan im Haus F. D. Bartows in Glen Cove auf Long Island. Nach einem langen Wochenende voller Diskussionen erteilten sie dem Haushalt am Sonntagnachmittag ihren Segen. Ein Telegramm mit dem Einverständnis wurde an Sir Ernest Harvey geschickt, den stellvertretenden Präsidenten der Bank of England, der in seinem Büro schon sehnlichst darauf wartete. Das Telegramm war so formuliert, dass jeder Hinweis darauf verborgen wurde, dass der Haushalt der Billigung durch die amerikanischen Bankiers unterworfen worden war. Es kam um 20.45 Uhr Londoner Zeit an. Harvey brachte es in aller Eile persönlich zur Downing Street Nr. 10. Vor der Residenz des Premierministers hatte sich, wie üblich in Zeiten eines nationalen Notstands, eine große Menschenmenge versammelt. Auf der Straße lagen Zigarettenschachteln, abgebrannte Streichhölzer, Papiertüten und Zeitungen. Es war ein milder Sommerabend, die Mitglieder des Kabinetts wanderten nervös im Garten herum. Als Harvey ankam, nahm ihm der Premierminister das Telegramm aus der Hand und eilte in den Kabinettsraum. Minuten später hörte man den Klang zorniger Stimmen. Für Harvey klang es so, als sei »das Chaos ausgebrochen.«
Trotz Morgans Zusage, das Geld zur Verfügung zu stellen, blieb das Kabinett gespalten, was die Kürzungen des Arbeitslosengelds betraf. An diesem Abend fuhr der Premierminister zum Buckingham-Palast und reichte den Rücktritt seiner Regierung ein. Zwei Tage später erschien im Daily Herald , dem offiziellen Presseorgan der Labour-Partei, wo man irrtümlich annahm, das Telegramm sei von der Fed und nicht von Morgan gekommen, ein Foto Harrisons auf der Titelseite. In der Überschrift wurde er beschuldigt, in betrügerischer Absicht den Markt manipuliert zu haben. Unter den Anhängern der Linken in Großbritannien glaubte man auch später fest daran, amerikanische Bankiers hätten aus Abneigung gegen den Sozialismus mit Absicht die Labour-Regierung gestürzt.
Nach drei Tagen übernahm eine neue Regierung die Amtsgeschäfte. Es handelte sich um eine Koalition aus Teilen der Labour-Partei und den Liberalen mit einer vereinigten konservativen Partei unter Führung von MacDonald, und sie legte größtenteils das gleiche Haushaltspaket vor, das zur Spaltung der Vorgängerregierung geführt hatte. Neben der Kürzung der Arbeitslosenunterstützung um zehn Prozent wurde auf Drängen des Königs auch die Erstattung seiner persönlichen Aufwendungen um zehn Prozent gekürzt, die sich pro Jahr auf 2,25 Millionen Dollar beliefen. Andere Mitglieder der königlichen Familie folgten seinem Beispiel. Der Prince of Wales gab sogar 50 000 Dollar seines Einkommens in Höhe von 300 000 Dollar aus dem Herzogtum Cornwall zurück. Niemand weiß, ob beim nächsten Jagdausflug von George V. mit seinem Freund Jack Morgan das Thema des Kredits und der Finanzen des Königs zum Gesprächsthema wurde.
Am 28. August erhielt die britische Regierung von einem Konsortium amerikanischer Banken unter Morgans Führung einen Kredit von 200 Millionen Dollar und weitere 200 Millionen Dollar von einer Gruppe französischer Banken. Das Geld war schon nach drei Wochen aufgebraucht. Die Haushaltskürzungen brachten keinen Nutzen, vor allem weil sie unangebracht waren. Ein Reporter des linksgerichteten britischen Magazins New Statesman and Nation versuchte das Thema wie folgt in einfachster Weise zu beschreiben:
Was die City eigentlich getan hat war, sich von den Franzosen Geld zu drei Prozent auszuborgen und es zu sechs oder acht Prozent an die Deutschen weiterzuverleihen. Dann kam der Crash in Wien; die Bank [of England] verlieh Geld. Später kam der Crash in Berlin, und wieder verlieh die Bank [of England] Geld. Daraufhin hatten die Franzosen eine Vision: Sie sahen die verschiedenen Banken. Österreicher, Deutsche und Engländer miteinander verbunden wie Bergsteiger über einem Abgrund. Zwei von ihnen waren schon abgestürzt. Könnten sie den dritten nicht mit in die Tiefe reißen? Aufgrund dieser Vision organisierten die Franzosen einen Ansturm auf die Bank of England; mit einfachen Worten: Sie zogen ihre Einlagen ab. Das Thema Arbeitslosengeld hat damit nichts zu tun.
Mit anderen Worten: Großbritanniens Problem war nicht das Haushaltsdefizit, sondern die Tatsache, dass es sich an die Rolle des Bankiers der Welt geklammert hatte, aber dafür nicht mehr das Geld oder die nötigen Ressourcen hatte, und zwar zu einer Zeit, als der größte Teil der Welt ein
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