Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Krieg, musste die City ihre langfristigen Kreditvergaben mehr und mehr mit kurzfristigen Einlagen finanzieren. Zwar wusste jeder so ungefähr, dass es dieses wachsende Missverhältnis zwischen Zahlungsverpflichtungen und Guthaben gab, aber niemand kannte dessen Ausmaß.
Der Macmillan-Bericht deckte nun auf, dass die kurzfristigen Verbindlichkeiten der City gegenüber Ausländern bei fast zwei Milliarden Dollar lagen. Diese Zahl empfand man als schockierend, obwohl sich herausstellte, dass diese Einschätzung noch viel zu niedrig war – die Verbindlichkeiten lagen in Wahrheit eher bei drei Milliarden Dollar.
Außerdem war nach der Einführung der deutschen Devisenkontrollen ein hoher Prozentsatz der mit diesen Einlagen vergebenen Kredite eingefroren – britische Banken hatten geschätzte 500 Millionen Dollar in Deutschland und weitere Hunderte von Millionen Dollar in Mitteleuropa und Lateinamerika investiert. Plötzlich zogen Investoren aus der ganzen Welt ihre Einlagen aus der Londoner City ab, weil sie mit der zuvor undenkbaren Aussicht konfrontiert waren, Londoner Banken könnten eventuell wegen Kreditausfällen ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen.
In den letzten beiden Juliwochen verlor die Bank of England 250 Millionen Dollar – fast die Hälfte ihrer Goldreserven. Sie reagierte darauf, indem sie die Zinsen moderat von 2,5 Prozent auf 4,25 Prozent erhöhte, in der Hoffnung, das Kapital möge nicht aus Sterling fliehen. Norman war gegen weitere Zinserhöhungen, weil er befürchtete, sie würden nur zu steigender Arbeitslosigkeit führen, und indem sie die Depression in Großbritannien verstärkten, könnten sie auch die spekulativen Attacken auf das Pfund intensivieren. Da er nicht wusste, was er sonst noch tun konnte, agierte er so, als sei die Krise eine vorübergehende Sache. Er arrangierte einen Kredit in Höhe von 250 Millionen Dollar von der New Yorker Fed und von der Banque de France, um die Bank of England kurzfristig über Wasser zu halten.
Norman hatte sich nun seit zehn Wochen mit einem Notfall nach dem anderen herumschlagen müssen, und der »stete Tropfen des unsichtbaren Drucks« wirkte sich allmählich auf seine schwächliche Konstitution aus. Er war leicht abzulenken, änderte häufig seine Meinung und schien manchmal wie gelähmt durch seine Unentschiedenheit – Phasen »nervlicher Verdauungsstörungen«, wie es einer der Direktoren der Bank of England formulierte. Als die Aussicht eines Abschieds vom Goldstandard drohte, beschrieb er die Folgen in apokalyptischen Begriffen – ein Verschwinden des Vertrauens in das Geld, wie es während der deutschen Hyperinflation geschehen war, ein Zusammenbruch des Werts der Währung, immer weiter steigende Preise, Nahrungsmittelknappheit, Streiks, Rationierungsmaßnahmen und Unruhen. Das Bild, das er zeichnete, war so übertrieben und düster, dass Russell Leffingwell, ein Partner des Hauses Morgan, wo Norman in der Regel mit enormem Respekt behandelt wurde, sich schließlich beklagte: »Kann man ihn denn nicht dazu bewegen, dass er mit diesem panischen Gerede aufhört?«
Am Mittwoch, dem 29. Juli, fuhr er schließlich früh von der Arbeit nach Hause und vermerkte sorgfältig in seinem Tagebuch, er fühle sich »seltsam«. An diesem Abend erlitt er einen Zusammenbruch. Die Ärzte verordneten ihm vollständige Ruhe zu Hause. Seine Kollegen in der Bank of England befürchteten, seine unberechenbaren Launen und sein beeinträchtigtes Urteilsvermögen könnten ihre Bemühungen nur erschweren, mit der bevorstehenden Krise fertig zu werden. Sie drängten ihn dazu, ins Ausland zu reisen und sich dort zu erholen. Jack Morgan, möglicherweise von den Direktoren der Bank of England alarmiert, bot Norman sogar großzügig seine Yacht an, die Corsair IV mit 50 Mann Besatzung. Stattdessen reiste Norman am 15. August an Bord der Duchess of York nach Kanada.
Am 31. Juli, als das Parlament in die Sommerpause aufbrach und die Londoner Bankiers aufs Land reisten, legte ein weiteres Komitee, das May-Komitee, seinen Bericht vor. Da sich die Depression in Großbritannien verschlimmert hatte, war der Haushalt in die roten Zahlen gerutscht und wies nun ein Minus von 600 Millionen Dollar auf, 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was angesichts der Umstände nur eine moderate Lücke war. Das May-Komitee, dessen Aufgabe es war, ökonomische Maßnahmen zu erwägen, stellte das Ausmaß und die Bedeutung des Defizits übertrieben dar; wie es der Historiker
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