Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
war.
Keynes verglich die Rolle der Bank of England im System vor dem Krieg einmal mit der eines »Dirigenten eines Orchesters.« Obwohl die Bank von einem Club alter und etablierter Patrizier aus der City verwaltet wurde, wurde der Goldstandard gut gemanagt; teilweise weil die Umstände so günstig waren, teilweise auch, weil die Direktoren der Bank zwar langweilig und phantasielos, aber solide waren. Nach dem Krieg, als die Welt darum kämpfte, sich aus dem ökonomischen Chaos zu befreien, als die Währungen immer noch in Turbulenzen steckten und Gold überall mit Ausnahme der USA knapp war, verhieß es nichts Gutes, dass der neue »Dirigent des Orchesters«, die Federal Reserve, eine zutiefst uneinige Organisation war, die ihre Rolle noch nicht recht begriff. Ohne Strong wäre sie in den Händen eines bunten Haufens von Geschäftsleuten aus der Kleinstadt und zweitklassigen politischen Hilfsarbeitern ohne Erfahrung im Finanz- oder Zentralbankwesen gewesen.
Teil III:
E INEN NEUEN W IND SÄEN – 1923 BIS 1928
10. Eine Brücke zwischen Chaos und Hoffnung
Deutschland: 1923
Wenn ich das Geld eines Landes herausgeben und kontrollieren kann, kümmert es mich nicht, wer die Gesetze schreibt.
Mayer Amschel Rothschild (1744–1812),
Begründer des Hauses Rothschild
Am 8. November 1923 um 22.00 Uhr hätte man beobachten können, wie zwei Männer im Hotel Continental in Berlin eintrafen, um dort in einem der Privatzimmer ein vertrauliches Abendessen zu sich zu nehmen. Jeder der beiden war auf seine Weise die Karikatur eines bestimmten deutschen Typus, als wären sie genau dafür ausgewählt worden. Die große, dünne Gestalt mit dem gestutzten militärischen Schnurrbart und dem kurzen, exakt in der Mitte gescheitelten Haar war Hjalmar Schacht, nun einer der prominentesten Bankiers Berlins, Direktor und Aufsichtsrat der Danatbank, der drittgrößten Bank Deutschlands.
Der andere war klein und dick, mit einem enormen Kopf; sein aufgedunsenes Gesicht war blass und teigig durch übermäßiges Essen und Mangel an Bewegung. Mit seinem leichten Lächeln und seiner geselligen Art wirkte er wie ein typischer Berliner aus den unteren Schichten; plump, unverfroren, aber gutmütig. Das war Gustav Stresemann. Er war tatsächlich das, wonach er aussah: ein Berliner aus der unteren Mittelschicht, Sohn eines Gastwirts und Bierverkäufers, obwohl er selbst an der Berliner Universität in Wirtschaftswissenschaften promoviert hatte und seit dem 23. Lebensjahr professioneller Politiker und Lobbyist war.
Der nächste Tag, der 9. November, war der fünfte Jahrestag der Flucht des Kaisers. In der Nacht zuvor hatte die russische Botschaft eine große Festveranstaltung zur Feier der beiden Revolutionen in Russland und Deutschland gegeben, aber Stresemann hatte sich aus Gründen der Staatsräson entschuldigt. An den letzten beiden Tagen hatte er mit Mitgliedern seines Kabinetts konferiert, um einen Weg zu finden, den drohenden Staatsbankrott zu verhindern.
Am 5. November war der Preis für einen Zwei-Kilo-Laib Brot von 20 Milliarden Mark auf 140 Milliarden Mark gestiegen, was im ganzen Land zu Unruhen führte. In Berlin waren Tausende Männer und Frauen durch die Straßen gezogen und hatten »Brot und Arbeit!« gerufen. Über tausend Geschäfte – Bäckereien, Metzgereien und sogar Textilläden – waren geplündert worden. Selbst im vornehmen Westen der Stadt waren Autos überfallen und deren Insassen ausgeraubt worden. In den Judenvierteln im Osten rund um den Alexanderplatz wurde jeder, von dem man wusste, dass er Jude war oder der auch nur jüdisch aussah, von Banden junger Schläger angegriffen. Die schlimmste Gewalt richtete sich gegen die galizischen Juden; vielen von ihnen wurden ihre charakteristischen Bärte mit der Schere abgeschnitten oder ihre Kleidung wurde ihnen vom Leib gerissen. Die Börse wurde von einem Mob belagert, der skandierte: »Bringt die Börsenjuden um!«
Aber am Abend des 8. November waren die Straßen schließlich ruhig, weil die Militärpolizei den Mob mit Bajonetten auseinandergetrieben hatte. Schwer bewaffnete preußische Staatspolizei in grünen Uniformen patrouillierte jetzt durch die Straßen. Nach einem ungewöhnlich heißen Herbstanfang war es extrem kalt geworden. In dieser Nacht hatte es zu regnen begonnen, was das Leben für die zahllosen Berliner noch schwerer machte, die in langen Schlangen vor den städtischen Suppenküchen und Essensausgaben standen, die über die ganze Stadt verstreut
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