Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
versuchen, die Preise im Inland zu stabilisieren. Er glaubte aber, sie sollte auch auf Schwankungen der geschäftlichen Aktivitäten reagieren. Mit anderen Worten: Die Fed sollte versuchen, die Volkswirtschaft genau abzustimmen, indem sie die Kreditvergabe erleichterte, wenn sich die Lage abschwächte und die Kreditzügel anzog, wenn die Wirtschaft stärker wurde.
Dieses neue Bündel von Prinzipien, das ein wenig improvisiert war, stellte eine stille, in der Tat auf sorgfältige Weise nicht angekündigte Revolution in der Geldpolitik dar. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Zentralbankiers ihre Hauptaufgabe darin gesehen, die Währung zu schützen und beschränkten ihre Verantwortung darauf, sicherzustellen, dass dem Goldstandard freie Hand gelassen wurde und nur in Zeiten von Krisen oder Panik einzugreifen. Die Kreditpolitik jedes Industriestaats war nur von einem einzigen Faktor angetrieben worden: von den Goldreserven. Die USA hatten nun allerdings derart viel Gold, dass die Stabilität der Währung gesichert war. Unter Strongs Führung hatte die Fed eine völlig neue Verantwortung übernommen: die Förderung ökonomischer Stabilität im Inland.
Mehr als jeder andere war es Strong, der den modernen Zentralbankier erfand. Wenn wir uns ansehen, wie Ben Bernanke oder vor ihm Alan Greenspan, Jean-Claude Trichet oder Mervyn King beschreiben, wie sie versuchen die richtige Balance zwischen Wirtschaftswachstum und Preisstabilität zu erreichen, dann schwebt der Geist Strongs über ihnen. Heute klingt das alles ganz selbstverständlich, aber 1922 war es eine radikale Abkehr von 200 Jahren Zentralbankgeschichte.
Strongs Politik zum Ausgleich der Auswirkungen des zuströmenden Goldes auf die inländischen Kreditbedingungen bedeutete, dass Gold praktisch aus dem Verkehr gezogen wurde, wenn es in die USA kam. Es war so, als hätte man diesen ganzen Schatz, der so mühsam aus den Tiefen der Erde geholt worden war, wieder vergraben.
Strongs Politik enthielt einen fundamentalen Widerspruch. Einerseits befürwortete er eine weltweite Rückkehr zum internationalen Goldstandard. Andererseits tat er Dinge, die nicht nur die Doktrin untergruben, an die er angeblich am meisten glaubte, sondern indem er verhinderte, dass das Gold wieder nach Europa strömte, machte er es den Europäern auch umso schwerer, darüber nachzudenken, mit den USA wieder zum Goldstandard zurückzukehren. Dieses Dilemma konnte er niemals lösen.
Europäische Bankiers argumentierten, dass das massive Gold-Ungleichgewicht zwischen ihren Ländern und den USA ein fundamentales Problem für die Welt sei und drängten auf einen Mechanismus zur Rückführung eines Teils dieses Goldes. »Ich habe nicht die Absicht, noch ein Vierteljahr vergehen zu lassen«, schrieb Norman im Januar 1924 an Strong, »ohne Dich von Angesicht zu Angesicht zu sehen und Dich zu fragen, wie um Himmels Willen die Federal Reserve und das US-Finanzministerium ihre Goldreserven verwenden werden.«
Keynes war der Erste, der bemerkte und aussprach, dass sich die neuen Arrangements, trotz aller öffentlichen Reden über die Wiedereinführung des Goldstandards, tatsächlich sehr stark vom geheiligten und automatischen Vorkriegsmechanismus unterschieden. Im Traktat schrieb er: »Ein Dollarstandard wurde auf das Podest des Goldenen Kalbs gestellt. In den letzten beiden Jahren haben die USA behauptet, den Goldstandard zu bewahren. In Wirklichkeit haben sie einen Dollarstandard etabliert.«
Das bedeutete praktisch, dass die Federal Reserve einen solchen Überfluss an Gold hatte, dass sie von der Zentralbank der USA zur Zentralbank der gesamten industrialisierten Welt geworden war. Keynes’ Hauptsorge war, dass Großbritannien und die anderen großen europäischen Staaten unter dem Diktat der Fed stehen würden, die sich hauptsächlich auf die Bedürfnisse der amerikanischen Wirtschaft konzentrierte und den an Goldmangel leidenden Europäern die amerikanische Kreditpolitik aufzwingen würde. Strong war dabei, einen Goldstandard auf nur einem Bein zu konstruieren. Das europäische Bein sollte fest an die klassischen Regeln gebunden bleiben, während das amerikanische unter Leitung der Fed nach deren Zielen und Einschränkungen geführt wurde.
Keynes wäre sogar noch entsetzter gewesen, hätte er sich darüber kundig gemacht, wie die Fed funktionierte und welche Männer sie leiteten. Der Federal Reserve Act von 1913 war ein politischer Kompromiss gewesen. Entscheidungen über die Höhe der Zinsen
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