Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
waren.
Das Hotel Continental lag im Zentrum Berlins, gleich neben dem dreispurigen Boulevard Unter den Linden. Es war zwar keines der bedeutendsten Hotels, aber es lag in bequemer Nähe zum Reichstag; es war ausreichend diskret und unauffällig, sodass Schacht und Stresemann sich dort treffen konnten, ohne zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Keiner von ihnen wollte an einem der großen, mondänen Treffpunkte gesehen werden, etwa im Adlon am Adlerplatz oder im Bristol Unter den Linden, unter all den Neureichen – den sogenannten Raffkes und Schiebern –, fetten, groben Männern, die ihr Geld verdient hatten, indem sie von den fiebrigen letzten Jahren profitiert hatten, und die man immer in den großen Hotels finden konnte, bei Champagner, Austern und Kaviar.
Trotz der Unruhen und des Regens setzte sich das berüchtigte, anrüchige und schäbige Nachtleben Berlins – des »neuen Babylon der Welt« – unvermindert fort. Auf der Friedrichstraße und entlang dem Kurfürstendamm waren die Bars und Tanzhallen voll wie eh und je. Wie jede Nacht paradierten draußen Horden von Prostituierten beiderlei Geschlechts in den seltsamsten und exotischsten Kostümen. Man sagte, es gebe hunderttausend von ihnen allein in Berlin. »Eine Art Irrsinn« hatte die Stadt ergriffen und brachte die ganze Gesellschaft aus der Fassung. Vermögen wurden über Nacht gemacht und ebenso schnell wieder verloren oder verprasst. Wer Geld hatte und es unbedingt loswerden wollte, ehe es wertlos wurde, berauschte sich an wilden Konsumorgien. Wer keines hatte, verkaufte das wenige, das ihm geblieben war, einschließlich seines Körpers, um zu überleben. Ein Viertel aller Schulkinder in der Stadt litt an Unterernährung.
Berlin war nie eine elegante Stadt gewesen. Vor dem Krieg dachten die Menschen, sie sei zu sehr das Abbild der Persönlichkeit ihres Kaisers – aufdringlich, selbstgefällig und vulgär – das »deutsche Chicago« hatte Mark Twain sie genannt. Aber die Stadt war mit Recht stolz darauf gewesen, die sauberste und modernste Metropole Europas zu sein. Jetzt war sie schäbig und heruntergekommen wie eine »steingraue Leiche«, heimgesucht von »Bettlern, Huren, Invaliden und specknackigen Spekulanten«, die Straßen bevölkert von »Kriegsveteranen ohne Beine, die auf Rollwagen über den Bürgersteig fahren« und von behinderten, O-beinigen Kindern, deren Knochen durch Rachitis verformt waren.
Im August war Stresemann aufgefordert worden, eine Regierung zu bilden, nachdem die vorherige Koalition – die sechste in fünf Jahren – auseinandergebrochen war. Man hielt ihn für den Einzigen, der politisch geschickt genug war, um alle demokratischen Parteien – die Sozialisten, die Katholiken, die Liberalen der Mitte – zu einer großen Koalition zusammenzubringen, die versuchen konnte, mit einem Deutschland zurechtzukommen, das kurz vor der Auflösung stand.
Er hatte gleich zwei unwahrscheinliche politische Karrieren hinter sich. Vor dem Krieg war er ein glühender Monarchist, ein überzeugter Militarist und als Vorsitzender der Nationalliberalen Partei im Reichstag ein blinder Unterstützer des Militärs im Krieg gewesen. Dies obwohl er aus der unteren Mittelschicht stammte – was den Kaiser zwei Mal dazu verleitete, ihn verächtlich zu brüskieren, indem er ihm in aller Öffentlichkeit den Handschlag verweigerte. Wegen seiner Loyalität zum kaiserlichen Oberkommando nannte man ihn »Ludendorffs jungen Mann«. Er hatte die gesamte nationalistische Agenda mitgetragen – die Annexion, die deutsche Expansion und den uneingeschränkten U-Boot-Krieg – und hatte auf diese Weise den Zorn der Amerikaner auf sich gezogen. Als das Militär bei Kriegsende zusammenbrach, blieb Stresemann, wie so viele andere Politiker der Kaiserzeit, erniedrigt und diskreditiert zurück. Obwohl er erst 40 Jahre alt war, schien seine politische Karriere vorbei zu sein. Aber in den fünf Jahren seit der Revolution hatte er sein politisches Ansehen stetig wieder aufgebaut. Er wandelte sich vom chauvinistischen Kriegstreiber zu einem bewährten Stützpfeiler der neuen Demokratie, obwohl manche dachten, seine Wandlung sei lediglich Verstellung.
Stresemann übernahm ein Land in einer tiefen Krise. 1923 gab es einen bedrückend heißen Sommer mit Unruhen und Streiks in ganz Deutschland, das kurz vor der Auflösung stand. In Sachsen hatten die Kommunisten gedroht, sich als unabhängiger Staat abzuspalten, während im Süden die bayerische Regierung von den
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