Die Herren des Nordens
stand mir gegenüber,
doch keiner von ihnen wagte eine Bewegung, denn immer noch lag die Spitze meines blutverschmierten Schwertes an Svens Kehle.
Witnere stand mit gebleckten Zähnen an meiner Seite und scharrte dicht neben Svens Kopf unruhig mit dem Vorderhuf. Sven sah
mit seinem einen Auge hasserfüllt und voller Angst zu mir hoch. Da trat ich unvermittelt von ihm weg. «Auf die Knie», befahl
ich ihm.
|59| «Egil!», flehte Sven erneut.
Egil, der einen schwarzen Bart trug und dessen Nasenlöcher riesig waren, weil ihm die Nasenspitze in einem Kampf abgehauen
worden war, hob seinen Speer.
«Er stirbt, wenn du angreifst», sagte ich zu Egil und berührte Sven mit Schlangenhauchs Spitze. Egil war vernünftig genug,
zurückzutreten, und ich zog Schlangenhauch über Svens Gesicht, sodass er blutete. «Auf die Knie», wiederholte ich, und als
er kniete, beugte ich mich hinunter, zog seine beiden Schwerter aus ihren Scheiden und legte sie neben den Helm meines Vaters
auf den Tisch.
«Willst du den Sklavenhändler umbringen?», rief ich Hild zu und deutete auf die Schwerter.
«Nein», antwortete sie.
«Iseult hätte ihn umgebracht», sagte ich. Iseult war meine Geliebte und Hilds Freundin gewesen.
«Du sollst nicht töten», sagte Hild. Das war ein christliches Gebot und ungefähr so sinnlos, wie der Sonne zu befehlen, rückwärts
zu wandern.
«Bolti», ich sprach jetzt dänisch, «bring den Sklavenhändler um.» Ich wollte Gelgill nicht den Rücken zuwenden.
Doch Bolti rührte sich nicht. Er war zu erschrocken, um mir zu gehorchen, aber dann überraschten mich seine beiden Töchter.
Sie kamen und ergriffen Svens Schwerter. Gelgill versuchte wegzulaufen, doch der Tisch war ihm im Weg, und eines der Mädchen
schwang wild die Klinge, traf seinen Schädel, und er brach seitwärts zusammen. Dann machten sie sich gemeinsam über ihn her.
Ich sah nicht zu, denn ich bewachte Sven, doch ich hörte die Schreie des Sklavenhändlers und Hilds überraschtes Keuchen, und
ich sah die Ungläubigkeit auf den Gesichtern der Männer vor mir. Die Zwillinge grunzten, während sie auf Gelgill |60| einhackten. Er brauchte lange zum Sterben, und kein einziger von Svens Männern unternahm den Versuch, ihn zu retten oder ihren
Gebieter zu verteidigen. Alle hatten ihre Waffen gezogen, und wenn nur einer von ihnen ein bisschen Verstand besessen hätte,
dann wäre ihm aufgegangen, dass ich es nicht wagen konnte, Sven umzubringen, denn sein Leben war mein Leben. Wenn ich ihm
den Garaus gemacht hätte, wären sie mit ihren Schwertern über mich hergefallen, doch sie fürchteten sich zu sehr vor dem,
was ihnen Kjartan antun würde, falls sein Sohn starb, und so rührten sie sich lieber gar nicht, und ich drückte die Klinge
fester an Svens Kehle, sodass er einen halberstickten Angstschrei ausstieß.
Hinter mir wurde schließlich die Abschlachtung Gelgills vollendet. Ich wagte es, mich kurz umzuwenden, und sah Boltis Zwillingstöchter
blutüberströmt und grinsend über ihrem Opfer stehen. «Sie sind Hels Töchter», erklärte ich den Männern und war stolz auf meinen
plötzlichen Einfall, denn Hel ist die Totengöttin, halbverwest und furchterregend, und sie holt alle zu sich, die nicht in
der Schlacht sterben. «Und ich bin Thorkild!», fuhr ich fort. «Und ich habe Scharen von Kämpfern in Odins Totenhalle geschickt.»
Sven zitterte unter mir. Seine Männer schienen den Atem anzuhalten, und mit einem Mal wuchsen meiner Erzählung Flügel, und
ich ließ meine Stimme so tief klingen, wie ich es vermochte. «Ich bin Thorkild der Lepröse», verkündete ich laut, «und ich
bin schon vor langer Zeit gestorben, nun aber hat mich Odin aus seiner Totenhalle hierher gesandt, um die Seelen Kjartans
und seines Sohnes zu holen.»
Sie glaubten mir. Ich sah Männer nach ihren Amuletten greifen. Ein Speerträger fiel sogar auf die Knie. Ich hätte Sven am
liebsten an Ort und Stelle getötet, und vielleicht hätte ich das auch besser getan, doch es wäre nur ein einziger |61| richtiger Mann notwendig gewesen, um das Netz aus mystischen Narrheiten zu zerreißen, das ich für sie gewebt hatte. Was ich
in diesem Augenblick am dringendsten brauchte, war nicht Svens Seele, sondern unsere Sicherheit, und daher tauschte ich das
eine gegen das andere. «Ich werde diesen Wurm weiterkriechen lassen», sagte ich, «damit er seinem Vater die Nachricht von
meinem Kommen überbringen kann. Aber vorher
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