Die Herren des Nordens
aufgerollt werden, bevor es reißt, und die langen Ruder
können nichts mehr ausrichten, also bindest du sie fest und fährst vor dem Wind und sagst deine Gebete und beobachtest den
dunkler werdenden Himmel und hörst den Wind heulen und erträgst den Regen, dessen Tropfen dich wie Geschosse treffen, und
dann hoffst du, dass die Ebbe und die Wellen und der Wind dein Schiff nicht gegen die Felsen drücken.
Und so habe ich mich in Northumbrien gefühlt. Zwar war ich dem Irrsinn Hrothweards in Eoferwic entkommen, doch gleich darauf
hatte ich Sven gedemütigt, der nun nur noch darauf sann, mich umzubringen, falls er noch glaubte, dass man einen wie mich
töten konnte. Also wagte ich es nicht, in der mittleren Region Northumbriens zu bleiben, denn meine Feinde waren hier viel
zu zahlreich, doch auch weiter nordwärts konnte ich nicht, denn damit wäre ich auf dem Gebiet der Bebbanburg gewesen, meinem
eigenen Land, wo mein Onkel täglich um meinen Tod betete, damit er auch vor dem Gesetz zum Besitzer dessen wurde, was er bis
jetzt nur gestohlen hatte, und ich hatte nicht vor, die Erfüllung seiner Gebete zu beschleunigen. Also trieben mich die Winde
von Kjartans Hass und Svens Rache zusammen mit der Gezeitenströmung aus der Feindseligkeit |68| meines Onkels Richtung Westen in die Wildnis Cumbriens.
Wir folgten dem römischen Wall über den Hügelkuppen. Dieser Wall ist ein höchst außergewöhnliches Bauwerk, das von Meer zu
Meer das ganze Land durchschneidet. Es ist aus Stein errichtet, steigt und fällt mit den Hügeln und Tälern, und seine unerbittliche
Gegenwart endet niemals. Wir trafen auf einen Schäfer, der noch nie von den Römern gehört hatte, und er erzählte uns, dass
die Riesen aus der alten Zeit diesen Wall gebaut hätten, und außerdem behauptete er, am Weltenende würden aus dem fernen Norden
wilde Männer wie ein Hochwasser über diesen Wall fluten, um Tod und Schrecken zu verbreiten. Am Nachmittag des gleichen Tages
musste ich noch einmal an diese Prophezeiung denken, denn ich sah eine Wölfin mit heraushängender Zunge oben über den Umgang
des Walls laufen. Sie beäugte uns, sprang hinter unseren Pferden vom Wall und machte sich Richtung Süden davon. Inzwischen
bröckelt das Mauerwerk, in den Steinritzen blühen Wildblumen, und eine dicke Erdschicht hat sich den breiten Wehrgang entlang
angesammelt. Dennoch ist es ein erstaunliches Bauwerk geblieben. Wir haben einige wenige Kirchen und Klöster aus Stein gebaut,
und ich habe ein paar langgestreckte Wohnhäuser aus Stein gesehen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer heute
in der Lage wäre, solch einen Wall zu errichten. Und es war auch nicht bloß ein Wall. An seiner Seite nämlich verlief ein
breiter Graben und dahinter noch eine mit Steinen gepflasterte Straße, und im Abstand von jeweils ungefähr einer Meile erhob
sich ein Wachturm, und zweimal am Tag kamen wir an steinernen Festungen vorbei, in denen die römischen Soldaten gewohnt hatten.
Die Dächer und die Schlafbaracken sind längst verschwunden, |69| und die steinernen Häuser werden inzwischen nur noch von Füchsen und Raben bevölkert, aber in einer dieser Festungen entdeckten
wir einen nackten Mann, dessen Haar ihm bis auf die Hüfte reichte. Er war sehr alt, behauptete selbst, über siebzig Jahre
zu sein, und sein grauer Bart war genauso lang und verfilzt wie sein weißes Haar. Die Kreatur starrte nur so vor Schmutz,
bestand bloß aus Haut, Knochen und Dreck, aber Willibald und die sieben Geistlichen, die ich aus Svens Händen befreit hatte,
fielen dennoch vor ihm auf die Knie. Der Alte war ein weithin bekannter Eremit.
«Einst war er Bischof», erklärte mir Willibald mit ehrfurchtsvoller Stimme, nachdem ihm der Knochenmann den Segen erteilt
hatte. «Er besaß ein Vermögen, eine Frau, Bedienstete und großes Ansehen, und das alles gab er auf, um Gott in Einsamkeit
anzubeten. Er ist ein heiliger Mann.»
«Vielleicht ist er aber auch nur ein verrückter Bastard», gab ich zu bedenken, «oder seine Frau ist ein bösartiges Weib und
hat ihn aus dem Haus geworfen.»
«Er ist ein Kind Gottes», sagte Willibald vorwurfsvoll, «und eines Tages wird man ihn einen Heiligen nennen.»
Hild war vom Pferd gestiegen und sah mich an, als wolle sie meine Erlaubnis dafür, sich dem Einsiedler zu nähern. Sie wollte
unbedingt seinen Segen, und deshalb wollte sie meine Einwilligung, aber was sie tat, ging mich nichts an,
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