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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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hatte ihnen ein Wunder versprochen, und sie warteten nun schon seit Tagen auf die Ankunft ihres neuen Königs. Und dann war
     ich von Osten herangeritten, in meiner vollen Pracht als Krieger, der ich immer gewesen bin. Mein ganzes Leben bin ich dem
     Pfad des Schwertes gefolgt. Wenn ich die Wahl habe, und ich hatte sie schon oft, ziehe ich lieber das Schwert, als einen Streit
     mit Worten zu schlichten, denn so ist nun einmal das Handwerk des Kriegers. Aber die meisten Männer und Frauen sind keine
     Kämpfer. Sie sehnen sich nach Frieden. Dennoch hat es das Schicksal gewollt, dass wir in Zeiten geboren werden, in denen die
     Gewalt herrscht. Die Dänen sind gekommen, und unser Land wurde zerstört. An all unseren Küsten tauchten sie mit ihren langen
     Schiffen mit dem schnabelförmigen Bug auf, um zu plündern, zu versklaven, zu rauben und zu töten. Nach Cumbrien, dem unwirtlichsten
     Teil des ganzen sächsischen Gebietes, kamen die Dänen, und die Nordmänner kamen, und die Schotten kamen, und niemand konnte
     in Frieden leben. Und ich glaube, wer die Träume der Männer zerbricht, ihre Häuser zerstört und ihre Ernte vernichtet, ihre
     Töchter vergewaltigt und ihre Söhne versklavt, der entfacht den Wahnsinn. Am Ende aller Zeiten, wenn die Götter gegeneinander
     kämpfen, wird die ganze Menschheit in Raserei geraten, und die Flüsse werden anschwellen vor lauter Blut, und vom Himmel werden
     die Schreie widerhallen, und der große Lebensbaum wird mit einem Krachen umstürzen, das bis zum letzten Stern das Universum
     erschüttern wird, doch all dies wird erst noch kommen. Damals, im Jahr 878, als ich noch jung war, herrschte in Cair Ligualid
     nur ein minderer Wahnsinn. Es war der Wahnsinn der Hoffnung, der Glaube, ein König, der aus dem Traum eines Geistlichen geboren
     war, könne das Leiden des Volkes beenden.
    |81| Abt Eadred erwartete uns im Kreise von Mönchen, und als sich mein Pferd näherte, streckte er seine Arme gen Himmel. Er war
     groß, alt und weißhaarig, hager und grimmig, seine Augen erinnerten an einen Falken, und er hatte, erstaunlich für einen Gottesmann,
     ein Schwert an der Seite hängen. Er konnte mein Gesicht zunächst nicht sehen, denn es war unter den Wangenplatten meines Helmes
     verborgen, doch als ich den Helm abnahm, hielt er mich immer noch für den König. Er sah zu mir empor, dankte Gott mit erhobenen,
     mageren Händen für meine Ankunft und verbeugte sich dann tief vor mir. «Herr König», sagte er mit dröhnender Stimme. Die Mönche
     fielen auf die Knie und starrten zu mir hoch. «Herr König», dröhnte Abt Eadred erneut, «willkommen!»
    «Herr König», ahmten ihn die Mönche nach, «willkommen!»
    Dieser Moment nun war allerdings sehr fesselnd. Eadred nämlich, so erinnern wir uns, hatte Guthred zum König ernannt, weil
     ihm der Heilige Cuthbert Hardnicuts Sohn im Traum hatte erscheinen lassen. Nun aber hielt Eadred mich für den König, was entweder
     bedeutete, dass Cuthbert ihm das falsche Gesicht gezeigt hatte oder dass Eadred ein lügnerischer Bastard war. Aber als Wunder,
     und Eadreds Traum wurde immer als ein Wunder bezeichnet, erregte diese Offenbarung entschiedenes Misstrauen. Ich habe diese
     Geschichte einmal einem Priester erzählt, und er hat sich geweigert, mir zu glauben. Er zischte mich an, bekreuzigte sich
     und eilte davon, um zu beten. Guthreds ganzes Leben sollte von der schlichten Tatsache bestimmt werden, dass der Heilige Cuthbert
     ihn Eadred offenbart hatte. Die Wahrheit aber ist, dass Eadred ihn nicht erkannte, doch das will mir heute niemand mehr glauben.
     Willibald sprang herum, als hätte er zwei Wespen in der |82| Hose, und versuchte, Eadreds Fehler zu berichtigen, also trat ich ihm an den Kopf, damit er endlich still war, und dann deutete
     ich auf Guthred, der nun die Kapuze vom Kopf gezogen hatte. «Das», sagte ich zu Eadred, «ist Euer König.»
    Einen Herzschlag lang glaubte mir Eadred nicht, doch dann tat er es, und ein Ausdruck schwärzester Wut huschte über sein Gesicht.
     Es war eine grimmige Zornesfratze, denn er verstand, wenn es auch sonst niemand tat, dass er Guthred aus seinem Traum hätte
     wiedererkennen müssen. Danach beherrschte er seinen Ärger, verbeugte sich vor Guthred, wiederholte seine Begrüßung, und Guthred
     gab sie mit seinem gewohnten Frohmut zurück. Die Mönche eilten herbei, um die Zügel seines Pferdes zu nehmen, dann stieg Guthred
     aus dem Sattel und wurde in die Kirche geführt. Wir anderen

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