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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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die Aasvögel an ihm laben können.»
    Da verstand Eadred, wer ich war. «Ihr seid Herrn Uhtreds Sohn», sagte er und betrachtete meine Armringe und mein Kettenhemd
     und meine meisterhaft geschmiedeten Schwerter und den Hammer, der um meinen Hals hing. «Ihr seid der Junge, der bei den Dänen
     aufgewachsen ist.»
    «Ich bin der Junge», sagte ich höhnisch, «der an einem Strand im Süden Ubba Lothbrokson getötet hat.»
    «Er ist mein Freund», beharrte Guthred.
    Abt Eadred schauderte, dann neigte er leicht den Kopf, wie um zu zeigen, dass er mich als Guthreds Begleiter in Kauf nahm.
     «Ihr werdet den Schwur ablegen», knurrte er mich an, «König Guthred treu zu dienen.»
    Ich trat einen kleinen Schritt zurück. Eide zu leisten ist eine ernste Angelegenheit. Wenn ich schwor, diesem König zu dienen,
     der ein Sklave gewesen war, dann wäre ich |88| nicht länger ein freier Mann. Ich wäre Guthreds Mann, ihm auf den Tod verschworen, und ich müsste ihm bis an mein Ende dienen
     und gehorchen, und diese Vorstellung ließ mir die Galle hochsteigen. Guthred sah mich zögern und lächelte. «Ich werde Euch
     entbinden», flüsterte er mir auf Dänisch zu, und ich verstand, dass er diese Zeremonie ebenso wenig ernst nahm wie ich.
    «Schwört Ihr mir das?», fragte ich.
    «Auf mein Leben», sagte er leichthin.
    «Die Eide werden nun abgenommen!», verkündete Eadred, der in der Kirche, in der inzwischen überall gemurmelt wurde, wieder
     eine würdevollere Stimmung verbreiten wollte. Strafend sah er in die Menge, bis wieder Ruhe eingekehrt war, dann öffnete er
     einen der beiden kleineren Kästen. Darinnen lag ein Buch, dessen Deckel mit wertvollen Steinen besetzt war. «Das ist das Evangeliar
     von Lindisfarena», sagte Eadred mit ehrfurchtsvoller Stimme. Er hob das Buch aus dem Kasten und hielt es in die Höhe, sodass
     sich das schwache Licht in den Juwelen brach. Die Mönche bekreuzigten sich. Anschließend übergab Eadred das schwere Buch einem
     bereitstehenden Priester, dessen Hände bei der Übernahme zitterten. Dann bückte sich Eadred zu dem zweiten der kleineren Kästen.
     Er machte das Kreuzeszeichen, und dann klappte er den Deckel hoch, und da lag, die geschlossenen Augen in meine Richtung,
     ein abgeschlagener Kopf. Guthred stieß einen angeekelten Laut aus und packte mich am rechten Arm, weil er ein Hexenwerk fürchtete.
     «Das ist der hochheilige Sankt Oswald», sagte Eadred, «einst König von Northumbrien und nun ein Heiliger, dem ein bevorzugter
     Platz im Herzen Gottes des Allmächtigen zuteil wurde.» Seine Stimme zitterte vor Ergriffenheit.
    Guthred trat zurück, so sehr stieß ihn der Kopf ab, doch |89| ich befreite mich aus seinem Griff und ging weiter vor, um auf Oswald hinabzublicken. Er war zu seiner Zeit der Herr von Bebbanburg
     gewesen, doch das war schon zweihundert Jahre her. Damals war er in einer Schlacht gegen die Mercier umgekommen, und sie hatten
     ihn in Stücke gehackt. Ich fragte mich, wie sein Kopf aus dem Schlachthaus dieser Niederlage hatte geborgen werden können.
     Der Kopf mit den eingesunkenen Wangen und der nachgedunkelten Haut wirkte auffällig narbenlos. Das Haar war lang und wirr,
     während den Hals ein Stück vergilbten Leinens verbarg. Ein vergoldeter Bronzereif diente ihm als Krone. «Inniggeliebter Sankt
     Oswald», sagte Eadred und machte das Kreuzeszeichen, «beschütze und leite uns und schließe uns in deine Gebete ein.» Die Lippen
     des Königs waren geschrumpft, sodass drei seiner Zähne sichtbar waren. Sie sahen aus wie gelbe Holzzapfen. Die Mönche, die
     am dichtesten bei Oswald knieten, schaukelten in inbrünstigem Gebet vor und zurück. «Sankt Oswald», verkündete Eadred, «ist
     ein Krieger Gottes, und mit ihm an unserer Seite kann uns keine Macht widerstehen.»
    Dann ging er an dem Kopf des toten Königs vorbei zum letzten und größten Kasten. In der Kirche herrschte Stille. Den Christen
     war natürlich bewusst, dass Eadred mit der Ausstellung der Reliquien die Mächte des Himmels anrief, die Eide zu bezeugen,
     wogegen die heidnischen Dänen, auch wenn sie nicht genau verstanden, was vor sich ging, von der zauberischen Stimmung eingeschüchtert
     waren, die sie in der großen Kirche wahrnahmen. Und sie spürten, dass noch mehr und noch größerer Zauber bevorstand, denn
     während Eadred nun schweigend neben dem Kasten betete, warfen sich die Mönche bäuchlings auf den gestampften Boden. Eadred
     betete lange mit gefalteten Händen, und seine

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