Die Herren des Nordens
Mädchen hat dir gefallen», sagte Hild.
«Mir gefallen alle Mädchen», wich ich aus. Ich verlor Gisela aus den Augen, als die Menge anfing, nach vorne zu drängen, um
die Zeremonie zu sehen. Sie begann damit, dass Abt Eadred den Schwertgürtel von seiner Taille löste und ihn um Guthreds Lumpen
befestigte. Dann legte er dem neuen König einen pelzbesetzten, grünen Umhang aus feinem Stoff um und drückte ihm einen Bronzereif
aufs helle Haar. Die Mönche psalmodierten, während Eadred dies tat, und setzten ihre Gesänge fort, als Guthred von dem Abt
durch die Kirche geführt wurde, sodass ihn alle sehen konnten. Der Abt hielt die rechte Hand des Königs hoch, und zweifellos
fanden es viele Leute seltsam, dass der neue König ausgerufen wurde, während Sklavenketten von seinen Handgelenken herabbaumelten.
Männer beugten das Knie vor ihm. Guthred kannte viele der Dänen als Gefolgsleute seines Vaters und grüßte sie strahlend. Die
Rolle des neuen Königs stand ihm, denn er war vernünftig und gutmütig zugleich, und dennoch sah ich einen Ausdruck des Übermutes
in seinem Gesicht. Glaubte er damals wirklich, er sei der König? Ich vermute, für ihn war das alles ein großes Abenteuer,
aber eines, das der Entleerung von Eochaids Scheißekübel eindeutig vorzuziehen war.
Eadreds Predigt war mit Kürze gesegnet, obwohl er sie sowohl auf Englisch als auch auf Dänisch hielt. Sein Dänisch war nicht
gut, aber es reichte aus, um Guthreds Landsleuten zu sagen, Gott und der Heilige Cuthbert hätten den neuen König erwählt,
und hier sei er, und Ruhm und Herrlichkeit würden unausweichlich folgen. Dann führte er Guthred zu den Binsenlichtern, die
in der Mitte des Kirchenschiffes flackerten, und die Mönche, die sich um die rauchenden Flammen geschart hatten, drängten
sich zusammen, um dem neuen König Platz zu machen. |86| Da sah ich, dass sie sich um drei Kästen versammelt hatten, um die im Kreis die Binsenlichtlein aufgestellt waren.
«Jetzt wird der königliche Eid geleistet werden!», verkündete Eadred in den Kirchenraum hinein. Die anwesenden Christen gingen
wieder auf die Knie, und ein paar dänische Heiden folgten unbeholfen ihrem Beispiel.
Es sollte vermutlich ein sehr feierlicher Augenblick werden, doch Guthred machte ihn fast zunichte, indem er sich umdrehte
und nach mir suchte. «Uhtred!», rief er. «Ihr sollt hier bei mir sein! Kommt!»
Eadred musste sich beherrschen, doch Guthred wollte mich an seiner Seite haben, weil ihn die drei Kästen beunruhigten. Sie
waren mit Gold beschlagen, und ihre Deckel wurden von breiten Metallschließen gehalten, und um sie herum standen die flackernden
Binsenlichter, sodass er glauben musste, gleich würde irgendein christlicher Zauber abgehalten, und da wollte er die Gefahren
mit mir teilen. Abt Eadred starrte mich finster an. «Hat er Euch Uhtred genannt?», fragte er misstrauisch.
«Herr Uhtred befehligt meine Haustruppen», äußerte Guthred würdevoll. Das machte mich zum Befehlshaber von gar nichts, doch
ich bewahrte eine ernste Miene. «Und wenn Eide abgelegt werden müssen», fuhr Guthred fort, «dann muss er sie gemeinsam mit
mir leisten.»
«Uhtred», sagte Abt Eadred einfach. Er kannte meinen Namen, das war zu erwarten. Er kam von Lindisfarena, wo meine Familie
herrschte, und aus seiner Stimme klang Bitterkeit.
«Ich bin Uhtred von Bebbanburg», sagte ich laut genug, damit jeder in der Kirche es hören konnte. Meine Worte lösten ein zischelndes
Wispern unter den Mönchen aus. Einige bekreuzigten sich, während mich andere einfach nur hasserfüllt anstarrten.
|87| «Er ist also Euer Gefährte?», wollte Eadred von Guthred wissen.
«Er hat mich gerettet», sagte Guthred, «und er ist mein Freund.»
Eadred bekreuzigte sich. Er hatte mich vom ersten Moment an, in dem er mich mit dem traumgeborenen König verwechselt hatte,
nicht gemocht, aber jetzt wollte er erst richtig Gift und Galle über mich ausspeien. Er hasste mich, weil unsere Familie als
Hüter des Klosters Lindisfarena angesehen wurde, doch nun bestand das Kloster nur noch aus Ruinen, und Eadred, sein Abt, war
ins Exil getrieben worden. «Hat Ælfric Euch geschickt?», verlangte er zu wissen.
«Ælfric», ich spuckte den Namen geradezu aus, «ist ein ehrloser Besatzer, ein Dieb, ein Kuckuck, der seine Eier ins fremde
Nest legt, und eines Tages werde ich ihm seine faulen Därme aus dem Leib schneiden und ihn an einen Baum hängen, damit sich
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