Die Herren des Nordens
Sachsen nun stärkere Kräfte gegen diese Feinde zusammenstellen. Es gab nur einen Mann, der ihm die Macht hätte streitig
machen können. Er hieß Ulf und war ein Däne mit viel Landbesitz südlich von Cair Ligualid, und sein Vermögen war größer als
das irgendeines anderen Thegn in Cumbrien. Aber er war alt und lahm und hatte keine Söhne, und daher bot er Guthred seine
Gefolgschaft an, und Ulfs Beispiel überzeugte die anderen Dänen davon, Eadreds Wahl hinzunehmen. Einer nach dem anderen beugte
vor Guthred die Knie, und er grüßte sie mit Namen, zog sie auf die Füße und umarmte sie.
«Ich sollte wirklich Christ werden», sagte er mir am Morgen nach unserer Ankunft.
«Warum?»
«Ich habe Euch schon gesagt, warum. Um meine Dankbarkeit zu zeigen. Und solltet Ihr mich nicht Herr nennen?»
|98| «Ja, Herr.»
«Schmerzt es?»
«Euch Herr zu nennen, Herr?»
«Nein!», er lachte. «Christ zu werden.»
«Weshalb sollte es schmerzen?»
«Ich weiß nicht. Nageln sie einen nicht an ein Kreuz?»
«Das tun sie natürlich nicht», sagte ich verächtlich. «Sie waschen einen bloß.»
«Ich wasche mich ohnehin», sagte er und runzelte anschließend die Stirn. «Warum waschen sich die Sachsen nicht? Nicht du,
du wäschst dich, aber die meisten Sachsen tun es nicht. Jedenfalls waschen sich unter den Dänen mehr Leute. Gefällt es den
Sachsen, schmutzig zu sein?»
«Man kann sich erkälten, wenn man sich wäscht.»
«Ich erkälte mich dabei nicht», sagte er. «Also das ist es? Eine Waschung?»
«Taufe nennen sie es.»
«Und man muss die anderen Götter aufgeben?»
«Das soll man.»
«Und man darf nur eine Frau haben?»
«Nur eine Frau. Darin sind sie sehr streng.»
Er dachte darüber nach. «Ich glaube, ich sollte es dennoch tun», sagte er dann. «Eadreds Gott ist mächtig. Denk an den toten
Mann! Es ist ein Wunder, dass er nicht schon längst verrottet ist!»
Die Dänen waren von Eadreds Reliquien völlig gebannt. Die meisten von ihnen verstanden nicht, weshalb ein paar Mönche einen
Leichnam, den Kopf eines toten Königs und ein juwelenbesetztes Buch in ganz Northumbrien herumtrugen, doch sie verstanden,
dass dies geweihte Dinge waren, und das beeindruckte sie. Geweihte Dinge besaßen besondere Kräfte. Sie bildeten eine Brücke
zwischen unserer Welt und den größeren Welten im Jenseits, und |99| schon bevor Guthred in Cair Ligualid angekommen war, hatten sich einige Dänen taufen lassen, um die Macht der Reliquien für
sich nutzbar zu machen.
Ich bin kein Christ. In unseren Zeiten kommt nichts Gutes bei diesem Eingeständnis heraus, denn die Bischöfe und Äbte besitzen
großen Einfluss, und es ist einfacher, so zu tun, als hinge man einem Glauben an, als ihre wilden Vorstellungen zu bekämpfen.
Ich wuchs als Christ auf, doch als ich zehn Jahre alt war, wurde ich zum Mitglied von Ragnars Familie, und dort entdeckte
ich die alten Sachsengötter, die auch die Götter der Dänen und der Nordmänner waren, und sie zu verehren erschien mir immer
sinnvoller, als sich vor einem Gott zu beugen, der aus einem so weit entfernten Land stammt, dass niemand, den ich je getroffen
habe, schon einmal dort gewesen ist. Thor und Odin dagegen lebten in unseren Wäldern, schliefen in unseren Tälern, liebten
unsere Frauen und tranken aus unseren Flüssen, und das macht sie zu so etwas wie Nachbarn. Und das andere, was mir an unseren
Göttern gefällt, ist, dass sie nicht von uns besessen sind. Sie haben ihren eigenen Zank und ihre eigenen Liebesgeschichten,
und die meiste Zeit scheinen sie uns gar nicht zu beachten. Der Christengott aber hat nichts Besseres zu tun, als Regeln für
uns zu erfinden. Er macht Regeln und noch mehr Regeln, Verbote und Gebote, und er braucht Scharen schwarzgewandeter Priester
und Mönche, die dafür sorgen sollen, dass wir Seinen Gesetzen folgen. In meinen Augen ist er ein sehr sauertöpfischer Gott,
auch wenn seine Priester unausgesetzt behaupten, dass er uns liebt. Ich war nie dumm genug zu glauben, Thor oder Odin oder
Hoder würden mich lieben, ich hoffe nur manchmal, dass sie mich als ihrer wert ansehen.
Doch Guthred wollte, dass die Mächte der heiligen |100| christlichen Reliquien für ihn wirkten, und so bat er zu Eadreds Entzücken darum, getauft zu werden. Die Zeremonie wurde unter
freiem Himmel abgehalten, direkt vor der großen Kirche. Dort wurde Guthred in einem großen Fass mit Flusswasser untergetaucht,
und alle Mönche erhoben
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