Die Herren des Nordens
«könntet Ihr Giselas Mann werden.»
«Hild und ich sind befreundet», sagte ich, «nur befreundet.» Und das stimmte. Wir hatten auch das Bett geteilt, aber seit
Hild den Körper des Heiligen Cuthbert gesehen hatte, war sie in Grübeleien versunken. Sie spürte, wie ihr Gott sie am Gewand
zupfte, das wusste ich genau, und ich hatte sie gefragt, ob sie wieder die Nonnentracht anlegen wollte, aber sie hatte nur
den Kopf geschüttelt und geantwortet, sie sei noch nicht bereit.
«Aber vielleicht sollte ich Gisela auch besser mit einem König verheiraten», fuhr Guthred fort, ohne auf meine Worte einzugehen.
«Mit Aed von Schottland? Ihn mit einer Braut ruhig stellen. Oder vielleicht besser mit Ivarrs Sohn? Glaubt Ihr, sie ist hübsch
genug dafür?»
«Natürlich ist sie das!»
«Pferdegesicht!», sagte er, und dann lachte er über den alten Spitznamen. «Früher haben wir hier oft zusammen Stichlinge gefangen»,
sprach er weiter, zog seine Stiefel aus, ließ sie am Ufer liegen und begann, stromaufwärts zu |111| waten. Ich folgte ihm am Ufer, wobei ich mich unter Erlen duckte und wucherndes Gras niedertrat. Fliegen summten um mich.
Der Tag war sommerlich warm.
«Sucht Ihr nach Stichlingen?», fragte ich, weil ich immer noch an Gisela dachte.
«Nein, eine Insel», sagte er.
«Kann wohl keine übermäßig große Insel sein», gab ich zurück. Das Gewässer war mit zwei großen Schritten zu durchmessen und
reichte kaum höher als bis zu Guthreds Waden.
«Sie war groß genug, als ich dreizehn Jahre alt war», sagte er.
«Wozu groß genug?», fragte ich und zerquetschte eine Pferdebremse mit einem Schlag auf mein Kettenhemd. Der Tag war so warm,
dass ich mir wünschte, es nicht angezogen zu haben, doch ich wusste schon lange genug, dass ein Mann die schwere Rüstung gewohnt
sein muss, weil sie ihn sonst im Kampf schwerfällig macht. Deshalb trug ich sie fast jeden Tag, damit sie mir zur zweiten
Haut wurde. Und wenn ich das Kettenhemd ablegte, fühlte es sich an, als hätten mir die Götter Flügel verliehen.
«Sie war groß genug für mich und eine Sächsin namens Edith», sagte er und grinste mich an. «Sie war meine Erste. Ein süßes
Ding.»
«Das ist sie vermutlich immer noch.»
Er schüttelte den Kopf. «Sie wurde von einem Stier aufgespießt und ist daran gestorben.» Er watete weiter, vorbei an ein paar
Felsen, auf denen Farne wuchsen, und ungefähr fünfzig Schritte dahinter schrie er glücklich auf, denn er hatte seine Insel
gefunden, und mir tat Edith leid, denn Guthreds Insel war kaum mehr als eine Anschwemmung von Steinen, die sich wie Messerklingen
in den zarten Mädchenrücken gedrückt haben mussten.
|112| Guthred setzte sich und begann, Kiesel ins Wasser schnellen zu lassen. «Können wir siegen?», fragte er.
«Wahrscheinlich können wir Eoferwic einnehmen», sagte ich, «wenn nicht Ivarr vorher zurückgekommen ist.»
«Und wenn er zurückgekommen ist?»
«Dann seid Ihr tot, mein König.»
Darüber runzelte er die Stirn. «Wir können mit Ivarr verhandeln», schlug er vor.
«Das würde Alfred tun», sagte ich.
«Gut!», Guthreds Laune besserte sich. «Und ich kann ihm Gisela für seinen Sohn anbieten!»
Darauf ging ich nicht ein. «Aber Ivarr wird nicht mit Euch verhandeln», sagte ich stattdessen. «Er wird kämpfen. Er ist ein
Lothbrok. Er verhandelt nicht, oder nur, um Zeit zu gewinnen. Er glaubt an das Schwert, den Schild, die Streitaxt und den
Tod seiner Feinde. Man kann mit Ivarr nicht verhandeln, man muss gegen ihn kämpfen, und wir haben nicht die Streitmacht zur
Verfügung, die man dazu braucht.»
«Aber wenn wir Eoferwic einnehmen», sagte er lebhaft, «werden sich uns die Leute von dort anschließen. Unser Heer wird sich
vergrößern.»
«Das nennt Ihr ein Heer?», fragte ich kopfschüttelnd. «Ivarr führt kriegserprobte Dänen an. Wenn wir auf ihn treffen, Herr,
werden die meisten unserer Dänen zu ihm überlaufen.»
Er sah mich an. Verwirrung stand auf seinem ehrlichen Gesicht. «Aber sie haben mir den Treueid geleistet!»
«Trotzdem werden sie sich ihm anschließen», sagte ich grimmig.
«Was sollen wir also tun?»
«Wir besetzen Eoferwic», sagte ich, «wir plündern es und kehren hierher zurück. Ivarr wird Euch nicht folgen. |113| Cumbrien kümmert ihn nicht. Dann könnt Ihr hier regieren, und irgendwann wird Ivarr Euch vergessen haben.»
«Das würde Eadred nicht gefallen.»
«Was will er denn?»
«Seinen
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