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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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hielt, schimmerten in dem rötlichen Licht die Muster auf dem Stahl. Die Klinge
     war aus drei glatten und vier gedrehten Stangen geschmiedet worden. Sie waren erhitzt und gehämmert, erhitzt und gehämmert
     worden, und als die Klinge fertig war, als die sieben Stangen ein einziger unbarmherzig schimmernder Streifen Stahl geworden
     waren, hatten die gedrehten Stangen einen geisterhaften Abdruck auf der Klinge hinterlassen. Daher hatte mein Schwert seinen
     Namen, denn die Muster sahen aus wie der wirbelnde Atemhauch einer Riesenschlange.
    «Eine schöne Klinge, Herr», sagte der Waffenschmied.
    «Das ist die Klinge, die Ubba am Ufer des Meeres getötet hat», sagte ich und strich über den Stahl.
    «Und Ihr werdet den Auftrag heute erfüllen», wiederholte ich und legte das Schwert und die Scheide auf seine Werkbank, die
     mit Brandspuren übersät war. Anschließend legte ich Hilds Kreuz auf das Heft des Schwertes und daneben eine Silbermünze. Ich
     war nicht mehr reich, aber ich war auch nicht arm, und mit der Hilfe von Schlangenhauch und Wespenstachel würde ich mir bestimmt
     wieder ein Vermögen erkämpfen.
    Die Sonne schien an diesem schönen Herbsttag und ließ |275| das frische Holz von Alfreds Kirche wie Gold schimmern. Ragnar und ich warteten auf den König. Wir setzten uns auf ein frisch
     abgemähtes Wiesenstück in einem Hof, und Ragnar beobachtete einen Mönch, der einen Stapel Pergamente zum königlichen Skriptorium
     trug. «Hier wird alles aufgeschrieben», sagte er, «alles! Kannst du lesen?»
    «Ich kann lesen und schreiben.»
    Das beeindruckte ihn. «Ist es zu etwas nütze?»
    «Mir hat es noch nie etwas genützt», räumte ich ein.
    «Warum machen sie es dann?», erkundigte er sich.
    «Ihre Religion ist aufgeschrieben», sagte ich, «unsere nicht.»
    «Eine geschriebene Religion?» Das verblüffte ihn.
    «Sie haben ein Buch», sagte ich, «darin steht alles.»
    «Warum brauchen sie es schriftlich?»
    «Ich weiß nicht. Sie schreiben es eben auf. Außerdem schreiben sie natürlich auch die Gesetze auf. Alfred ist ganz versessen
     darauf, neue Gesetze zu machen, und sie müssen alle in Büchern aufgeschrieben werden.»
    «Wenn sich ein Mann nicht an die Gesetze erinnern kann», sagte Ragnar, «dann gibt es zu viele davon.»
    Die Rufe spielender Kinder unterbrachen uns, genauer gesagt, das beleidigte Gebrüll eines kleinen Jungen und das spöttische
     Lachen eines Mädchens, und einen Augenblick später rannte das Mädchen um die Ecke. Sie wirkte wie neun oder zehn, ihr goldfarbenes
     Haar leuchtete wie die Sonne, und sie hielt ein geschnitztes Holzpferd in der Hand, das offensichtlich dem kleinen Jungen
     gehörte, der hinter ihr herrannte. Das Mädchen schwenkte das Holzpferd wie eine Trophäe über dem Kopf, als sie vor uns die
     Wiese überquerte. Sie war munter, schmal und fröhlich, während der Junge, der drei oder vier Jahre jünger sein mochte als
     sie, robuster gebaut war und eine höchst jämmerliche |276| Miene zog. Es bestand keine Aussicht für ihn, das Mädchen einzuholen, denn sie war viel zu schnell, doch in diesem Moment
     sah sie uns und blieb mit aufgerissenen Augen vor uns stehen. Der Junge holte zu ihr auf, aber er war zu eingeschüchtert von
     Ragnar und mir, um sich sein hölzernes Pferd zurückzuholen. Dann keuchte ein rotgesichtiges Kindermädchen um die Ecke und
     rief die Namen der Kinder. «Edward! Æthelflaed!»
    «Du bist es!», sagte Æthelflaed und starrte mich entzückt an.
    «Ich bin es», sagte ich und stand auf, denn Æthelflaed war eine Königstochter, und Edward war der Ætheling, der Prinz, der
     sehr wahrscheinlich Wessex regieren würde, wenn sein Vater Alfred gestorben war.
    «Wo warst du?», fragte Æthelflaed, als ob ich nur ein oder zwei Wochen nicht da gewesen wäre.
    «Ich war im Land der Riesen», sagte ich, «und an Orten, wo das Feuer wie Wasser fließt und wo die Berge aus Eis gemacht sind
     und wo Schwestern niemals ihre kleinen Brüder ärgern.»
    «Niemals?», fragte sie lächelnd.
    «Ich will mein Pferd!», jammerte Edward und versuchte, es ihr zu entwinden, aber da hielt Æthelflaed es hoch über ihren Kopf,
     sodass er es nicht erreichen konnte.
    «Man soll sich von einem Mädchen nie etwas mit Gewalt holen», sagte Ragnar, «wenn man es auch durch eine List bekommen kann.»
    «List?» Edward runzelte die Stirn, offensichtlich kannte er dieses Wort noch nicht.
    Ragnar furchte die Brauen und sah Æthelflaed an. «Hat das Pferd

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