Die Herrin der Flammen
Dämons hingen so tief herab, daß die Finger fast über den Boden schleiften, und seine Zahnstümpfe schimmerten im Fackelschein. »Edler Herr«, brummte er, »habt Ihr sie gesehen? Schnapper weiß nicht.« In seiner Verzweiflung schwankte er wie ein Bär. »Gebieterin wird es nicht gefallen, nicht gefallen… Darf Schnapper jetzt gehen?«
»Habt Ihr den Stein hingelegt, Schnapper?« Es war ein bläulicher, mit Sprüngen durchzogener Edelstein, den Ischade Crit gegeben hatte. Für welchen Preis hatte Tempus nicht gefragt.
Und Ausreden hatte es für Crit nie gegeben. Aber es hatte an diesem Abend nicht wie sonst kameradschaftliche Verwünschungen oder Hänseleien zwischen den Stiefsöhnen gegeben. Als Randal kurz vorbeigekommen war, um Bescheid zu sagen, daß Jihan teilnehmen würde, hatte er nicht die üblichen freundschaftlichen Neckereien über sich ergehen lassen müssen. Strat hatte ihn nicht einmal Zuckohr genannt.
Tempus wußte, daß er ihnen zusetzte, aber er hatte seine Gründe. Und der Gott, der sich in ihn gedrängt hatte, war Zeichen genug, daß ihn sein Gespür nicht trog.
Einen Teil dieses ungeheuren Unterfangens – die Befreiung dessen, was immer hinter Tasfalens Türen lauerte – unternahm er, um ein völlig aus den Fugen geratenes Gleichgewicht wieder herzustellen. Das war etwas, das keiner seiner Helfer ahnte. Aber Niko, der abwesende Stiefsohn hätte es verstanden: Tempus kämpfte nun um Maat, die Ausgewogenheit in einer Stadt, die der Anarchie entgegentaumelte; und für die Stiefsöhne, die sich vielleicht bald dort hinbegaben, wo Nisibisimagie noch stark war und es besser nicht wäre, solange er einer Hexe von Nisiblut noch etwas schuldete.
Aber den größten Teil dieser scheinbar schlimmen Tat – die Randal ihn angefleht hatte, sein zu lassen, und die Ischade so sehr beunruhigte, daß sie hierhergekommen war – unternahm er um Jihans und ihres Vaters willen und wegen einer Heirat, die, wenn vollzogen, einen Gott an Freistatt binden würde, den keine kleine Diebeswelt beherbergen konnte.
Über dreihundert Jahre hatten Tempus gelehrt, daß Instinkt das einzige war, wonach er sich richten konnte; daß das Opfer eines Menschen nur dann gewürdigt wurde, wenn es einen Gott besänftigen sollte; und daß die einzige Befriedigung, die sich lohnte, in der Tat selbst lag – in der Ausführung, nicht im Ergebnis.
Deshalb würde seine bevorstehende Opferdarbietung – nicht die der Ochsenlenden auf dem Öl, sondern die seines eigenen Seelenfriedens – von den Männern gar nicht bemerkt werden. Aber er wußte es. Und der Gott würde es wissen. Und die Kräfte, die für das Gleichgewicht zuständig waren, würden es wissen.
Wie Jihans Vater reagieren würde, konnte nur Jihan wissen.
Eine Bewegung lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich, und das Gottesauge in ihm erkannte sofort, daß eine Frau sie verursachte. Er war bereit, sich Jihan in all ihrer unersättlichen Herrlichkeit zu stellen.
Aber es war Ischade, nicht Jihan, die kam. Besorgnis und Unsicherheit quälten Tempus plötzlich – etwas, das er in all den Jahren kaum je empfunden hatte. Würde Jihan seine Einladung mißachten? Seine Herausforderung? Die Macht in seinem Spiel? Könnte Sturmbringer Wind von Tempus’ Absicht bekommen und sich eingemischt haben? Einen Gott zu überlisten war nicht einfach. Aber es war auch nicht einfach, Tempus zu überlisten.
Randal hatte ihm versichert, daß Jihan gesagt hatte, sie würde hierherkommen. Er wußte, daß sie dachte, sie habe sich mit Randal eingelassen, um Tempus eifersüchtig, ihn empfänglich zu machen und ihn dazu zu bringen, ihr aus der Hand zu fressen. Die Frage war jedoch, ob Jihan überhaupt verstand, was sie tat und warum – daß Sturmbringer ihren Blick auf Randal gebannt hatte.
Plötzlich fragte sich Tempus, ob es Jihan etwas ausmachen würde, wenn sie es erfuhr. Sie war ebensowenig menschlich wie die zierliche und doch so gefährliche Ischade oder wie Roxane.
Jihan war immer noch dabei zu lernen, wie es mit dem Leben war; eine Frau zu sein, war beunruhigend und verwirrend für sie, ganz im Gegensatz zu den Hexen und den verfluchten Frauen, die alles mit Hexenblut bekämpften.
Ischade, die im Vergleich mit Tempus nicht größer als ein Kind war, kam ganz in Schwarz gehüllt herbei, ihr Gesicht glich dem Zaubermond in der Mittsommernacht, ihre Augen waren wie die Hölle, die sie bewachte.
»Geheimnisvoller«, hauchte sie, »seid Ihr Euch sicher?«
»Nie«, antwortete er
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