Die Herrin der Kathedrale
gegnerischen Taktik beikommen können – außer mit einem großen Heer. Eine Unvorhersehbarkeit, die den Kampfeswillen unserer noch lebenden Männer entschieden schwächt!«
»Aber der Herr ist mit Ihnen!«, erklärte ein Geistlicher und ließ hastig eine Segnung folgen.
»Wie denn, wenn sie den Glauben verlieren, weil der Gegner übermächtig, ja dämonisch ist«, verfocht der Ritter seine Position aufbrausend.
Uta blickte zwischen den Herrschaften hin und her. Sie war sich der nahenden Bedrohung bewusst und verspürte gleichzeitig den Drang, den Verwundeten draußen im Hof zu helfen. Da trat ein weiterer Geistlicher vor die Runde, der ihr bisher noch nicht aufgefallen war und der dem Ring an seinem Finger nach Bischof sein musste. Er stand wahrscheinlich im fünfzigsten Lebensjahr, hatte ein glattrasiertes Gesicht, war von zierlicher Statur und kaum größer als sie selbst. Beschwörend hob er nun seine Arme über den Kopf. »Es ist der Heidenbund, der uns verdammt«, fluchte er, vom Stöhnen der Menschen im Hof begleitet. »Nur der Bund der Heidenstämme ist schuld an unserem Unglück. Der Herr straft uns für unseren Ungehorsam!«
Uta beobachtete, wie die Lippen des Geistlichen bei diesen Worten bebten und seine Wangen sich mit roten Flecken überzogen. Der Mann wiederholte seine Sätze und begann dann zu beten, um die Bestrafung durch den Herrn abzuwenden. Einige der Anwesenden, die seinen Worten zuvor stumm gelauscht hatten, fielen murmelnd mit ein. Der Geistliche war, seinen Körper vor und zurück wiegend, dem Anschein nach in einen völlig entrückten Zustand gefallen.
»Aber Exzellenz«, ging Hermann mit ruhiger Stimme dazwischen.
Anstatt einer Antwort ließ sich der Bischof weiter über die Schlechtigkeit der Heiden aus.
»Exzellenz, Hildeward von Zeitz«, wiederholte Hermann und trat, begleitet von Esikos aufmerksamen Blicken, vor den Bischof.
Ein entsetzlicher Schmerzensschrei im Hof ließ den Zeitzer Bischof abrupt wieder zu sich kommen. Er riss die Augen auf und stockte, während die Umstehenden ebenfalls zu beten aufhörten. Dann schaute der Bischof Hermann an.
»Die Liutizen haben unserem Kaiser die Treue geschworen«, versicherte Hermann nun an die gesamte Runde gewandt.
»Sie sind nicht schuld an unserem Unglück.«
Liutizen? Dieses Wort löste heftige Erinnerungen in Uta aus. Vorsichtig blickte sie zu Esiko hinüber, der ihr einst von den menschenfressenden Stämmen an der nordöstlichen Grenze des Reiches erzählt hatte. Deutlich erinnerte sie sich wieder daran, wie er sie vor vielen Jahren über die Heiden belehrt hatte. Beim ersten Mal hatte sie gerade einmal sechs Winter gezählt, als er ihr seine Handkante – die Klinge eines Dolches darstellend – zuerst gegen die Oberschenkel, dann gegen die Arme und zuletzt an den Hals gedrückt hatte, um ihr zu zeigen, wo die Liutizen ihre tödlichen Schnitte ansetzten. Nächtelang hatte sie danach nicht schlafen können und war in die Arme der Mutter geflüchtet, vor Angst, das Messer der Liutizen könnte auch sie vierteilen.
»Die Pferde brechen zusammen!«, erschienen in diesem Moment aufgelöst gleich mehrere Knappen im Saal.
Die versammelten Edelleute tauschten wissende Blicke. Die Polen mussten das Wasser verseucht haben, mit dem die Tiere getränkt worden waren.
»Verbrennt die Rösser!«, befahl Ekkehard.
»Mieszko darf unter keinen Umständen weiter vorstoßen.
Wir müssen uns mit den anderen Markgrafen beraten und vor allem mit dem Kaiser. Er muss uns mehr Kämpfer für die Sicherung der Ostgrenze zur Verfügung stellen. Ich reite gleich morgen in die Stadt Dortmund. Dort hält er Hoftag.« Hermann hatte zwar geahnt, dass der Herzog, der sich selbst zum polnischen König gekrönt hatte, nicht lange Ruhe geben würde und die Gebiete der Liutizen nur als kriegerische Vorübung betrachtete, denn das wahre Ziel waren die Marken rechts der Elbe: Meißen und die Nordmark; die Lausitz war König Mieszko bereits im Vertrag von Bautzen zugesprochen worden. Doch die Planung für das neue Gotteshaus hatte Herrmann seine Vorahnung vergessen lassen. Dafür musste er nun umso entschlossener durchgreifen. »Um ein Heer aufzubauen, Graf Esiko, sucht unter Euren Vasallen in Sachsen und Schwaben nach Kämpfern«, schlug er als der Erfahrenste unter ihnen vor. »Wir sollten umgehend den Grenzweg vor Meißen sichern.«
Esiko trat vor. Zwar konnte er Hermann nicht leiden, doch nach der ihm unterlaufenen Fehleinschätzung hinsichtlich der sicheren
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