Die Herrin der Kathedrale
Luise vor Erstaunen beinahe fallen gelassen. Zur Sicherheit legte sie das Neugeborene zurück in Ernas Arme. Katrina, die an der Tür zur Kammer stehen geblieben war, lächelte verstohlen, wobei die Hasenscharte an ihrer Oberlippe den Blick auf ihre Schneidezähne freigab.
»Ich freue mich so, dass ihr, du und die Kinder, die Geburt gut überstanden habt«, sagte Uta, während Arnold die schreiende Selmina durch die Kammer trug.
Erna hatte Tränen des Glücks in den Augen. »Möchtest du ihre Patentante werden?«
Uta strich der Freundin über das schweißnasse Haar. Auch an Arnold gewandt sagte sie: »Es wäre mir eine Ehre.«
In diesem Moment trat die Wehmutter mit einer dampfenden Schüssel Wasser ein. »Gräfin«, grüßte sie und verbeugte sich so tief, wie es ihr mit der vollen Schüssel in den Händen möglich war. Worauf Luise in das Schreien ihrer Schwester mit einfiel.
»Ich glaube, sie fordern ihre erste Mahlzeit«, meinte Erna stolz.
»Gebt jedem Kind eine Brust«, wies die Wehmutter die Wöchnerin an. »Und danach reinigen wir Euch vom Geburtsfleisch!«
Uta verabschiedete sich und küsste Luise und Selmina auf die Stirn. »Erna, bitte lass mich wissen, wenn du etwas brauchst!« Doch die junge Mutter war schon wieder in den Anblick des kleinen Mädchens in ihren Armen versunken.
Stattdessen nickte Arnold. »Danke, Gräfin.«
Aribo von Mainz schaute auf das mit schwarzen Seidenkreuzen bestickte handbreite Band auf seiner Brust und setzte mit jedem Schritt den gusseisernen Stab in seiner Rechten laut auf den Boden. Ihm folgten einige Äbte und Bischöfe seines Verwaltungsbezirks. Aus dem Augenwinkel nahm er die Verbeugungen der Lakaien wahr, die ihm Respekt zollten. Am Ende des Ganges angekommen, öffnete er die Tür zu seiner Arbeitskammer, blickte sich kurz zu der Gruppe Geistlicher um, die ihm ihre kleinlichen Sorgen vorzutragen wünschte, und trat ein. Als der Abt von Prüm ansetzte, ihm zu folgen, zog Aribo schnell die Tür hinter sich zu.
»Verdammtes Pontifikalamt!«, zischte er, griff nach der Scheitelkappe auf seinem Haupt und warf sie auf den Arbeitstisch.
»Die Messe zu Mariä Entschlafung wird im nächsten Jahr jemand anders lesen! Ich hätte nicht nur die Lichterprozession abgeben sollen.« Mit diesen Worten ließ er sich auf seinem gepolsterten Stuhl vor dem Fenster nieder.
Aufgeregte Stimmen drangen durch die Tür zu ihm herein. Diese kleingeistigen Leute, diese verbissenen Äbte und zu Stumpfsinn neigenden Bischöfe konnte er jetzt nicht ertragen; einen guten Schluck vom besten Roten dagegen schon eher. Und so goss sich Aribo einen Becher Wein ein und nahm gleich einen kräftigen Schluck davon. Beim Betrachten des Getränks, dessen Reben auf den Hügeln Roms wuchsen, verzog er angewidert das Gesicht. Doch wie sollte ihm der Rebensaft der heiligen Stadt auch noch munden, wo ihn doch der dortige unwürdige Nachfolger Christi auf Erden derart vor den Kopf stieß. Mit dem süffisanten Nachsatz, dass er damit lediglich dem Ansinnen seines Vorgängers entspräche, hatte Papst Johannes XIX . ihn jüngst über das gegen ihn eingeleitete Verfahren zum Entzug des Palliums informiert – sicherlich angestachelt von seiner Verwandtschaft: Bei den römischen Adelsfamilien schien sich etwas zusammenzubrauen. Nach den vergangenen vier Jahren, in denen ein Marionettenpapst auf dem Stuhl Petri gesessen hatte, einer, der jeden zum Kaiser krönte, den er, Aribo von Mainz, vorschlug, wendete sich nun das Blatt. Die Konsequenzen für seinen Affront gegenüber dem seligen Benedikt VIII ., dem Bruder des jetzigen Papstes, hatte Aribo schon längst im Schlick des undurchsichtigen vatikanischen Tümpels versanden gesehen. Doch nun wurde die unselige Angelegenheit, die von einem Weib im Hammersteiner Ehestreit heraufbeschworen worden war, wieder an die Oberfläche gespült. Aribo sah Gisela von Schwaben vor sich, die sich damals in die Diskussion um die Nah-Ehe eingemischt hatte, und sein Gesicht verzog sich zu einer angewiderten Grimasse. »Johannes XIX ., durch Simonie und Gewaltandrohung auf den heiligen Stuhl gelangt: mit der Drohung, mir das Pallium entziehen zu wollen, hast du deine Befugnisse eindeutig überschritten!« Aribo war sich sicher, dass er den Papst, bevor dessen Ansinnen ihm tatsächlich gefährlich werden würde, immer noch eines Besseren belehren könnte.
Als es klopfte, drehte Aribo der Tür gleichgültig den Rücken zu.
»Ich bin es, Euer Exzellenz, Kaplan Wipo«, war vom Gang her
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