Die Herrin der Kathedrale
Uta den Satz und erhob sich.
Mit einem Seitenblick zu Uta schmunzelte Hermann. »Dann haben wir eine Baustelle weniger, Euer Exzellenz.«
»Das wäre Gotteslästerung, Markgraf!« Schlagartig erschienen rote Flecken auf Hildewards Wangen. »Der Chor ist noch längst nicht fertiggebaut!«, erregte er sich und stimmte augenblicklich ein Gebet an: »Die Gemeinde ist der Leib Christi. Wer das für das Mahl nicht bedenkt, zieht Gottes Strafe auf sich. Deswegen sind so viele krank und schwach und sterben früh!«
Wieder beobachtete Uta, dass der Bischof dabei den Ring an seinem kleinen Finger mit denen der anderen Hand umfasste.
»Bis zur Weihe verbleiben uns noch sechzig Tage, in denen wir ein Teilstück der oberen Mauern im Ostchor schneller hochziehen können«, ergriff Meister Tassilo das Wort. »Allerdings müssten wir dazu die Arbeiter abziehen, die dieser Tage die Fundamentmauern des Lang- und Querhauses mit Bruchsteinwerk füllen. Diese Arbeiten würden dann ruhen, der Chor dafür aber schneller fertig werden.«
Hermann nickte zuversichtlich. »Mit viel Fleiß können wir die Weihe vorziehen. Die Herzen der verstorbenen Kämpfer werden wir mit einer Messe in die Westkrypta einlassen. Deren Mauern reichen bis dahin bestimmt bis zur Erdoberfläche. Stellt Euch vor, Eurer Exzellenz«, sagte er an Hildeward gewandt, »wie die Gläubigen bei der Weihe Gott begegnen, und Ihr lest die heilige, kraftspendende Messe.«
Diese Aussicht erhellte die Finsternis, die das bischöfliche Glück zu bedrohen schien, jedoch nicht im Geringsten.
»In derselben Messe«, fuhr Hermann fort, »werden wir den heiligen Schleier in einen gläsernen Schrein vor dem Altar einlassen. Nach der Chorweihe wird unser Heiligtum für jeden sichtbar sein.«
Bischof Hildeward entgleisten die Gesichtszüge. Jetzt wollten sie auch noch, dass er seinen heiligen Schleier hergab?! Er presste die Finger seiner rechten Hand so fest auf die Eisenstifte des Rings, dass ihm vor Schmerz Tränen in die Augen schossen.
Da trat der Vogt vor. »Das bedeutet, dass alles für die Chorweihe vorbereitet werden muss, Markgraf!«
»Sehr wohl«, bestätigte Hermann.
»Sicherlich benötigen wir zusätzliche Nahrungsmittel, um das Heer versorgen zu können«, fiel Uta ein. »Ich kann die umliegenden Bauern um zusätzliche Getreidelieferungen bitten. Die Küche werde ich anweisen, entsprechende Gerichte vorzubereiten. Damit noch mehr Fleisch zusammenkommt, sende ich Jäger aus.«
Die Herren nickten.
»Ich kümmere mich darum, dass wir bis zur Ankunft der Kämpfer einen brauchbaren Altar bekommen«, sagte Meister Tassilo und schaute ungewohnt ernst in die Runde. »Und wenn ich ihn selbst meißeln muss.« Dann trat er zu Bischof Hildeward, der von ihnen weggetreten war und die Hände verkrampft hinter dem Rücken hielt. »Exzellenz, für die Formung des Altars würde ich gerne gleich morgen Eure Vorstellung erfahren.«
Hildeward nickte geistesabwesend.
»Dann bereitet Ihr die Weihefeier vor?«, fragte Hermann den Bischof. »Wir werden der polnischen Bedrohung etwas entgegensetzen, das so noch nie dagewesen ist.«
Hildeward antwortete nicht.
»Bischof, Exzellenz?«, fasste Hermann geduldig nach. »Werdet Ihr dem Wunsch des Kaisers nachkommen?«
Mit einer knappen Geste der Bestätigung verließ Hildeward eiligen Schrittes den Burgsaal.
Irritiert schaute Uta dem Geistlichen nach, den sie beim Öffnen der Tür noch murmeln hörte: »Und ihr werdet die Ersten sein!«
»Ich koordiniere die Arbeit auf der Baustelle«, erklärte Hermann. »Ich werde den Schmied und den neuen Glaser anweisen, den Schrein für den Schleier und die Truhen für die Herzen zu fertigen.«
Die Runde nickte. Sie waren sich in dem, was zu tun war, einig.
»Wen darf ich zur Weihefeier einladen?«, fragte Uta. Hermann nickte Uta angesichts ihres umsichtigen Tatendrangs anerkennend zu. »Setzt zuerst ein Schreiben an den Kaiser und unsere Heerführer auf, in dem Ihr über die geplante Weihe informiert. Überdies soll Erzbischof Humfried aus Magdeburg der Messe beiwohnen – unsere Kathedrale gehört seinem Erzbistum an. Bittet seine Exzellenz darum, die von ihm erwünschten Bischöfe mitzubringen.«
»Und die anderen Erzbischöfe?«, fragte Uta.
»Ihr habt recht«, entgegnete Hermann. »Ladet alle Erzbischöfe des ostfränkischen Reiches ein.«
»Sehr wohl«, bestätigte Uta und sah ihrer Aufgabe freudig entgegen.
Tassilo von Enzingen war froh, endlich wieder Glanz in den Augen der
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