Die Herrin der Kathedrale
verbleibende Heer und die Kathedralarbeiter verteilten sich auf die übrigen, in der gesamten Vorburg aufgestellten Tafeln.
Markgraf Hermann und Kaiser Konrad eröffneten das ungewöhnliche Fest gemeinsam. Es war kein Fest mit Gauklern, Musikanten und derben Späßen, sondern eines der Besinnung. Vereinzelt tauchten braune Benediktinerkutten an den Tafeln auf, die den Berichten der Kämpfer lauschten, nickten, Zuversicht spendeten und diesen anboten, sich von Abt und Pater die Beichte abnehmen zu lassen.
Während des Festmahls berichtete Konrad an der Kaisertafel von der geplanten Strategie an der Ostgrenze: Mit Hilfe des Großfürsten Jaroslaw von Kiew und des Böhmenherzogs Udalrich gedachte er, Polen vom Osten, Westen und Süden aus gleichzeitig anzugreifen. Die Schreiben mit Bitte um militärische Unterstützung waren bereits unterwegs. »Dank der Bemühungen des Grafen Esiko wissen wir auch, dass sich Bezprym am Hofe des Kiewers aufhält«, erklärte der Kaiser und nickte Esiko dankbar zu. »Er wird uns sicherlich unterstützen!«
Bei diesen Worten legte Konrad seinem Sohn Heinrich, der inzwischen dreizehn Jahre zählte, anerkennend die Hand auf die Schulter. »Ich gedenke Heinrich bereits im nächsten Jahr die Pflichten eines Heerführers zu übertragen. Er wird die Überwachung des südlichen Teils der Ostgrenze übernehmen. Auch wenn unser Kampf gegen die Ungarn nicht so verlaufen ist wie geplant, konnten wir schließlich friedlich übereinkommen.«
Uta beobachtete, wie Ekkehard stolz in die Runde schaute, als der Kaiser andeutete, Heinrich im zweiten polnischen Feldzug an seiner Seite kämpfen zu lassen. Nach einem kurzen Blickwechsel mit der Kaiserin, blickte sie die lange Tafel hinunter und bemerkte, dass der Hocker neben dem Magdeburger Erzbischof frei war – Bischof Hildeward fehlte in der Runde. Sie blickte sich um, konnte ihn aber auch an keiner der anderen Tafeln, die mit den Kämpfern, Handwerkern und Bewohnern des Burgbergs gefüllt waren, ausmachen.
Nachdem das zarte Wachtelfleisch, das Reh und der Hirschbraten verspeist worden waren, erhob sich Erzbischof Humfried von Magdeburg für eine Fürbitte. Während er sprach, schaute Uta vorsichtig zu Esiko hinüber, der direkt neben Erzbischof Aribo saß. Wahrscheinlich würde er ihre Bitte um Eideshilfe erneut abschlagen und niemals vor dem kaiserlichen Gericht beschwören, dass sie die Wahrheit sprach. Aber durfte sie diese wenn auch winzige Chance vorübergehen lassen? Sie war bereit, nach jedem Grashalm zu greifen, der sie der Gerechtigkeit auch nur eine Armlänge näherbrachte.
»Ihr habt vorzüglich gesungen«, sagte Kaiserin Gisela nach Beendigung der Fürbitte und hob ihren Becher in Richtung der Äbtissin des Moritzklosters, die auf Utas Tafelseite nur wenige Hocker von ihr entfernt saß.
Notburga hob ihren Becher ebenfalls. »Ich habe hart dafür gearbeitet, Kaiserliche Hoheit. Wenn Ihr es wünscht, stehen meine Schwestern für weitere Erbaulichkeiten sofort zur Verfügung.«
»Nach dem vorzüglichen Gesang Eures Chores«, antwortete Gisela höflich, nachdem sie Notburga wiedererkannt hatte, »möchte ich Euch und Euren fleißigen Schwestern erst einmal etwas Erholung gönnen.«
Esiko schmunzelte, als er sah, wie die Äbtissin enttäuscht nach dem letzten Rest Wachtelfleisch griff, während sich die Kaiserin bereits einem anderen Gesprächspartner zuwandte. Uta bemerkte, wie die Sehnen am schlanken Hals der Hildesheimerin hervortraten, und begann, nicht zuletzt um ihren Erinnerungen zu entgehen, Meister Tassilo neben sich zur Planung des zweiten Bauabschnitts zu befragen.
Als Uta erneut fasziniert zu den Hunderten von Kienspänen schaute, die die Umrisse der Kathedrale zeigten, hatte ihr Meister Tassilo bereits von seiner neuesten Bauzeichnung für das Langhaus berichtet. Fundament, Mauerwerk, Dach und Feinarbeiten, wiederholte sie die Bauschritte in Gedanken und rechnete aus, dass mit dem Dach für den Ostchor in kaum mehr als zwanzig Mondumläufen begonnen werden würde.
Im Dunkel der Nacht ging Aribo von Mainz auf das Tor der Hauptburg zu. Selten bewältigte er derlei Entfernungen allein, noch dazu ohne Sänfte, und selten war ihm ein warmer Herbstwind so störend erschienen. Mit der Hand strich er über die schwarzen Seidenkreuze auf dem handbreiten Band, das er sich am Morgen um Schultern und Leib gelegt hatte. Immer noch hatte er die Stimmen der Kämpfer im Ohr, die unaufhörlich von Plantilla, dem Schleier und der Kathedrale
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