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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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Kästchen zu werfen.
    »Es wird Zeit, dass wir den Schleier in das Erdreich einlassen«, verkündete Erzbischof Humfried, blickte erwartungsvoll in die Gesichter vor sich und verneigte sich ein zweites Mal an diesem Tag vor dem Kaiserpaar und deren Sohn. Bei Erzbischof Aribo angelangt, blieb sein Blick kurz an dem handbreiten Band auf dessen Brust hängen. »Ich bin mir sicher«, fuhr Humfried fort, »dass Ihr die Macht der Plantilla und die Allmacht unseres Herrn nicht vergessen habt. Am Tag des heiligen Petrus und Paulus sandte Euch unsere Dreifaltigkeit dieses Geschenk.«
    Zögerlich hatte Bischof Hildeward bei diesen Worten sein Kästchen geöffnet. Seitdem er wusste, dass man ihm den heiligen Schleier zu entziehen gedachte, hatten Geißelung und Hungerstreik seinen ohnehin schon hageren Körper bis auf die Knochen abmagern lassen. Zitternd nahm er den Schleier in die Hand, der, davon war er überzeugt, ohne den Schutz des Wandschränkchens und seine Fürsorge verloren war, und hielt ihn mit seinen dünnen Armen in Richtung des Langhauses, damit die Kämpfer sich mit eigenen Augen des Heiligtums versichern konnten.
    Erzbischof Humfried lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf sich zurück, indem er nun mit kräftiger Stimme sprach: »Die Zeit ist gekommen, dass Ihr dieses Geschenk endlich annehmt. Mit Eurem Kopf und noch viel mehr mit Eurem Herzen!«
    Uta war gerührt, als sie sah, wie die Kämpfer in tiefer Ehrfurcht erneut auf die Knie fielen: nicht vor dem Kaiser oder der Kaiserin, sondern vor dem Schleier. Die Erinnerung an dessen Wirken schien Schmerz und Tod vergessen zu machen. Es sollte sogar Kämpfer an der Ostgrenze des Reiches geben, die versucht hatten, sich das Herz bei lebendigem Leib herauszureißen, um es der heiligen Plantilla zu weihen. Schon wollte sich Uta ebenfalls verbeugen, als die Worte des Erzbischofs sie innehalten ließen.
    »Nein!«, rief der voller Inbrunst, »kniet dieses eine Mal nicht vor ihr nieder.« Er sprach von der Kraft der Plantilla und schritt im Schein der Kienspäne die zwei Stufen des Chores hinab ins Langhaus. »Sie ist mit und unter Euch, nicht über Euch.«
    Humfried bedeutete dem Naumburger Bischof, ihm mit dem Kästchen zu folgen, und auf sein Zeichen setzten die Benediktinerinnen zu einem weiteren Choral an.
    Uta bekam Gänsehaut, als sie die Kraft der Musik spürte und diese auch bei den Kämpfern wirken sah, die sich nacheinander erhoben, während gleichzeitig der Gesang der Sängerinnen anschwoll. Mit jedem Schritt, den Erzbischof und Bischof mit dem heiligen Schleier durch das Langhaus machten, fiel eine weitere, noch ausdrucksstärkere Stimme in den Gesang mit ein, ohne die anderen Stimmen dabei zurückzudrängen.
    »Wir werden im Osten siegen. Niemand kann die Verbindung zwischen Euch und der heiligen Plantilla lösen«, sprach der Erzbischof, während Bischof Hildeward das Kästchen mit dem Schleier schweißgebadet von links nach rechtsschwenkte.
    »Ihr seid mit ihr für immer verbunden. Sogar, wenn Ihr das irdische Reich verlasst, um in Gottes Himmel aufzusteigen.« Das Heer stand und schaute Erzbischof und Bischof nach, die unter dem nunmehr vielstimmigen Gesang vor der Westkrypta zum Stehen kamen.
    Humfried kommentierte sein weiteres Tun, damit auch ein jeder wusste, was dort vor sich ging. »Die Herzen unserer mutigen Kämpfer haben wir hier zur letzten Ruhe gebettet«, erklärte er und zog das weiße Tuch vom Boden.
    Den Männern offenbarte sich ein riesiger steinerner Sarkophag, der die fünffache Breite und doppelte Länge eines gewöhnlichen Sarges aufwies.
    »Mehr als zweihundert Herzen werden hier, in der Krypta des Westchores, für immer ruhen.« Humfried deutete auf sieben verschlossene Eichenfässer im Sarg, die die Herzen der Verstorbenen enthielten, welche in einer salzhaltigen Flüssigkeit eingelegt worden waren. »Die Fässer wurden von mir persönlich gesegnet«, erklärte der Erzbischof weiter. »Die Toten rufen Euch auf, ihr Ableben zu sühnen. Sie hätten Euch bis zum Sieg zur Seite gestanden. Weil sie mutig waren, begleitet die heilige Plantilla ihre Seelen nun zum Herrn. Lasst uns für sie, für den Sieg und für die göttliche Gerechtigkeit beten.«
    Während die Versammelten beteten, wurde die Steinplatte über den Sarg geschoben, und Fürbitten sprechend schritten Erzbischof und Bischof zurück zum Altar. »Die Heerführer sollen nun neben mich treten«, bat Humfried. »Wir werden den heiligen Schleier der Plantilla nun gemeinsam

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