Die Herrin der Kathedrale
gesprochen hatten. Ihre Überschwenglichkeit hatte ihn die Tafelrunde nicht mehr ertragen lassen – das anhaltende Flehen nach der heiligen Plantilla und der von Gotteshand gebauten Kathedrale, die wie ein regenverwöhnter Pilz aus dem Erdboden schoss.
In Gedanken sah Aribo erneut vor sich, wie die Menschen aufgrund der Weihe und des Schleiers Zuversicht geschöpft hatten. Am heutigen Tag war es dem Magdeburger Erzbischof und dem Markgrafen tatsächlich gelungen, Hunderte von Kämpfern auf den zweiten Feldzug gegen die polnischen Aufrührer einzuschwören. Und wenn ihnen dies mit einem halben Heer gelang, schlussfolgerte er, würden sie es auch ein weiteres Mal schaffen – gegen jeden Gegner, der ihren Interessen zuwiderlief.
Aribo sah das Gesicht des Markgrafen vor sich, der während der Weihe zufrieden auf die Mauern des Ostchores geblickt hatte. Neben ihm hatte sein Bruder gestanden, der sein Weib, das einst die Schreibarbeit für Gisela von Schwaben übernommen und seinen Kaplan regelmäßig von der Arbeit abgehalten hatte, noch immer nicht gebändigt zu haben schien. Um ihn herum gab es einfach zu viele unfähige Leute, stellte er fest und betrat den Haupthof der Burganlage. Der Hof war wie leer gefegt, denn selbst das Gesinde war auf dem Fest in der Vorburg willkommen. Das Gesinde und feiern? Wirklich alles unfähige Leute um ihn herum! Aribo blieb stehen und blickte sich um. Dabei fiel ihm Licht hinter einem geöffneten Fenster im ersten Stockwerk des Turmes auf, aus dem heraus eine weinerliche Stimme zu ihm hinabdrang. Die Kammer des hiesigen Bischofs! Zielstrebig ging Aribo auf den Eingang des Turms zu. Das sollst du aber wissen, dass in den letzten Tagen schlimme Zeiten kommen werden, begleiteten ihn dabei die geistlichen Worte, welche er früher selbst regelmäßig in Messen vorgelesen hatte, die Außentreppe hinauf. Denn die Menschen werden viel von sich halten, geldgierig sein, prahlerisch, undankbar, unversöhnlich, verleumderisch, zuchtlos, wild, hochmütig und Lästerer, sowie dem Guten Feind und dem Verräter Freund sein!
Ohne anzuklopfen, betrat Aribo den Raum. Dort fand er den Bischof kniend vor einem Gebetskreuz vor, die Stirn fest auf den Boden gedrückt. Um ihn herum waren Talgschalen mit Feuer aufgestellt.
Aribo trat von hinten an den Geistlichen heran. »Hildeward von Naumburg!«
Eine beinahe unverschämte Weile fuhr der Angesprochene noch mit seiner Litanei fort. Dann wandte er sich um und sagte: »Exzellenz.« Kraftlos beugte er den Kopf über den Ring der ihm hingehaltenen Hand. Die eigenen Finger hielt er nach wie vor unter dem einfachen Gewand versteckt.
»Erhebt Euch, Hildeward!«, befahl Aribo.
Mit einem sehnsüchtigen Blick auf das Kreuz an der Wand folgte der Geistliche der Anweisung.
Aribo musterte den Mann, der ihm einst eine Abschrift der Urkunde über die Sitzverlegung des Bistums von Zeitz nach Naumburg hatte zukommen lassen. Er sieht abgekämpft aus, vielleicht ist er doch nicht der richtige Mann, dachte er. Dann schloss er das Fenster und senkte die Stimme.
»Ihr macht nicht den Eindruck, als ob Euch die heutige Weihe erfreut hätte.«
Hildeward schaute ihn aus trüben Augen an. »Der Schleier ist in großer Gefahr, Exzellenz!« Nach diesen Worten verlor er sich erneut in Gemurmel.
»Bischof!«, herrschte Aribo ihn darauf an. »Reißt Euch zusammen, wenn ich mit Euch rede. Und gehe ich richtig in der Annahme, dass Ihr den Schleier vor dieser Zurschaustellung bewahren wollt?«
Hildeward schloss die Augen, und auf sein Gesicht trat ein entrücktes Lächeln. »Gewiss«, hauchte er dann.
»Ich denke, ich kann Euch in dieser Sache behilflich sein«, fuhr Aribo fort.
Hildeward öffnete die Augen. »Wie meinen, Euer Exzellenz?«
Aribo dämpfte seine Stimme: »Ihr wollt den Schleier?« Nachdem darauf erstmalig Bewegung in den Naumburger Bischof kam, deutete Aribo dies als ein Ja.
»Seid Ihr auch bereit, dafür eine Kleinigkeit zu tun?«
»Aber wie gedenkt Ihr, den heiligen …«, wollte Hildeward sich versichern, als Aribo auch schon abwinkte und scharf entgegnete: »Lasst das nur meine Sorge sein!«
Erwartungsvoll zog Hildeward die Finger aus seinem Gewand hervor, die mit Blut beschmiert waren. Ob sie das Heiligtum recht bald wieder berühren durften?
»Als Gegenleistung für den heiligen Schleier möchte ich über den Baustand hier informiert werden, vertraulich«, erklärte Aribo. »Schreibt mir alle fünfzig Tage einen Bericht nach Mainz. Ich möchte
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