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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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der Gäste richteten sich sofort auf sie. Und Uta nutzte die Aufmerksamkeit. Sie schloss die Augen, entspannte all ihre Muskeln und legte sich stöhnend die Hand auf die Stirn. Dann ließ sie sich zu Boden fallen – so wie sie es einst bei einem der Zimmerleute beobachtet hatte, der mitten auf der Baustelle ohnmächtig geworden war. Dazu gab sie noch einige Würgegeräusche von sich. Beim Gedanken an Schwester Margit, die sie jedoch wohl schnell als Simulantin entlarvt hätte, zweifelte sie augenblicklich am Gelingen ihres Plans. Doch da sprang Arnold auch schon auf und rief: »Eine Krankenschwester, mein Weib benötigt eine Heilkundige!«
    Sofort waren Edda und zwei heilkundige Schwestern zur Stelle.
    »Wahrscheinlich steckt ihr eine Fischgräte im Hals!«, vermutete Arnold und blickte gespielt nervös um sich, was ihm offenbar gut gelang.
    »Rasch, Knechte!«, befahl Edda und lugte kurz unter die Kapuze der Hilfsbedürftigen. Dann traten die beiden Heilkundigen neben sie, und eine von ihnen sagte mit einer Uta wohlvertrauten Stimme: »Legt die Frau auf eine Trage und bringt sie in unsere Krankenkammer. Wir müssen ihr einen Spültrunk bereiten, Schwester Domenica, und einen Trank, der ihren Rachen zuvor betäubt«, diagnostizierte Hazecha an die Schwester neben sich gewandt.
    Uta erschauderte, denn Hazechas Stimme glich der der Mutter bis ins kleinste Detail. In der Krankenkammer wurde Uta an einem Regal vorbeigetragen, in dem sie Von der Materie der Medizin des Dioskurides stehen sah. Sie befand sich nun also tatsächlich in Hazechas Reich. Aus der Ferne vernahm sie Glöckchengebimmel.
    Auf Anweisung von Schwester Domenica legten die Knechte sie auf das hinterste der fünf Betten. Die anderen vier waren leer. Als Uta die leinenen Bettlaken unter sich spürte und die weißgetünchten Wände erblickte, verlor sie sich in der Vergangenheit. Vor dreizehn Jahren hatte sie auf eben jenem Bett gelegen, zusammengekrümmt vor Angst, die Mutter könnte sie für ein leichtes Mädchen halten, das vom Reinigungseid überführt worden war. In jenem Bett hatte sie auch vom angeblichen Fleckfieber der Mutter erfahren und geschworen, dieser Gerechtigkeit zu verschaffen.
    »Ihr müsst nicht mehr würgen?«, fragte da Schwester Domenica an Utas Lager.
    Uta hustete ein paar Mal. »Ich bin mir nicht sicher«, flunkerte sie mit gebrechlicher Stimme, um ihre Anwesenheit auf der Krankenstation zu verlängern.
    »Dann trinkt das«, wies Schwester Domenica sie an und stützte Utas Kopf. »Dieser Trank betäubt Euren Rachen, damit Euch der Spültrunk beim Entfernen der Gräte keinen allzu großen Schmerz verursacht.«
    Während Uta trank, blinzelte sie möglichst unauffällig immer wieder in Richtung der Tür. »Ich spüre auch plötzlich einen Schmerz in dieser Gegend«, sagte sie, nachdem Hazecha noch immer nicht erschienen war, und zeigte auf ihre Brust.
    »Euch schmerzt das Herz?«, fragte Schwester Domenica. In diesem Moment trat Hazecha ein.
    Uta hielt die Luft an.
    »Schwester Hazecha, unsere Patientin klagt über Schmerzen in der Brust.« Unruhig ging Domenica ihrer Lehrmeisterin entgegen, denn sie wusste, dass Herzkrankheiten meistens tödlich verliefen. »Wie können wir ihr helfen?«
    Unverzüglich eilte Hazecha zum hintersten Krankenlager, um eine eingehende Untersuchung vorzunehmen. Als sie ihrer Patientin jedoch in die Augen blickte, fiel ihr die Pinzette aus der Hand.
    Uta streckte den Arm nach der Schwester aus und sagte, so ruhig es ihr in dieser Situation möglich war: »Hazecha, Schwester.«
    Doch wider alle Erwartung wich Hazecha vor ihr zurück.
    Utas Herz zog sich schmerzhaft zusammen. »Ich bin hier, weil ich mir Sorgen um dich mache«, begann sie behutsam.
    »Ich hatte solche Angst, dass dir etwas passiert sein könnte.« Uta beobachtete, wie Hazecha eine Träne über den kleinen braunen Fleck unterhalb des linken Auges lief.
    Dann betrachteten sie einander lange, ohne ein Wort zu sagen.
    »Ich hole die Pinzette unter dem Bett hervor, Schwester«, unterbrach Domenica die Stille und blickte irritiert von Hazecha zu der Patientin. »Und ihr Herz?«, stammelte sie.
    Hazecha antwortete nicht, und Uta hörte die Worte der anderen Schwester schon längst nicht mehr, viel zu sehr war sie auf Hazecha konzentriert, der sie am liebsten über jenen braunen Fleck gestreichelt hätte, der alle vier Ballenstedter Kinder mit der Mutter verband. Als sich Schritte auf dem Gang näherten, nahm Uta all ihren Mut zusammen und

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