Die Herrin der Kathedrale
dich nicht mehr, wie viele Herumtreiber damals dem kaiserlichen Heerzug auf dem Weg nach Italien folgten?«
»Aber ich muss unbedingt zu ihr!«, beharrte Uta und legte den Kopf schief. Sie wusste, dass sie damit gegen Ekkehards Anweisung verstoßen würde, doch die Schwester war ihr wichtiger. »Ich spüre, dass Hazecha meine Hilfe braucht.« Erna wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. »Und was sagt der Graf dazu?«
Augenblicklich wurde Uta blass. »Graf Ekkehard sagt, dass er die Ehe auflösen wird, wenn ich ihm nicht bald einen Erben gebäre. Das sagt er, sonst gar nichts!«
Erna sog scharf die Luft ein. »Nein!«
»Lass uns nicht über ihn reden«, bat Uta eindringlich, und Erna nickte sofort.
»Du willst also wirklich nach Gernrode? Aber wenn sie dich auf dem Weg dorthin überfallen und schänden, ist auch Hazecha nicht geholfen, außerdem ist es doch schon so kalt – du könntest erfrieren«, fuhr Erna besorgt fort, zog sich ihre Haube vom Kopf und knüllte sie nervös zwischen den Händen.
Demonstrativ zog Uta den Wollmantel aus ihrem Bündel und legte ihn sich über den dünneren Umgang, den sie zu dieser Jahreszeit stets über dem Obergewand trug. »Dann werde ich eben so schnell reiten, dass kein Räuber mich aufhalten kann.« Uta bemühte sich zu lächeln.
»Du kannst nicht alleine reiten!« Auf Ernas Gesicht zeigten sich tiefe Sorgenfalten, die Uta in diesem Moment zum ersten Mal auffielen. »Sie sind immer schneller als du, glaub mir. Aber warte kurz hier.« Ohne eine Erwiderung zuzulassen, stieg Erna die Treppen hinauf.
Stimmen drangen zu Uta nach unten. Dann ein Husten.
»Arnold wird dich begleiten!«, verkündete Erna, nachdem sie zusammen mit ihrem Mann wieder auf der Treppe erschienen war. Die zerknitterte Haube saß wieder auf ihrem Kopf.
Uta erblasste erneut. Sie und Arnold alleine? Rote Haare, Sommersprossen … vernahm sie eine Stimme in ihrem Kopf.
»Zu Eurem Schutz gebe ich ihm das große Messer aus der Küche mit«, bestimmte Erna und setzte sich wieder zu der Freundin, die ganz still geworden war. »Der Arnold ist für die nächsten Tage sowieso in der Küche abgemeldet, weil er so hustet und immerzu niest. Da wird niemand merken, dass er weg ist.« Uta schaute Arnold unschlüssig an. »Ihr seid krank und solltet Euch ausruhen«, sagte sie leise, in der Hoffnung, Erna ließe sie doch noch ohne den Gatten ziehen.
»Ich schaff das schon, Gräfin«, krächzte der Koch, dessen Augen geschwollen waren und dessen Nase beinahe die Farbe seiner Haare angenommen hatte.
Erna nickte zuversichtlich. »Ich gebe Euch außerdem ein paar Kräuter mit, damit der Hals besser wird. Einverstanden?« Sie blickte von Arnold zu Uta.
Utas Wunsch, Gernrode lebend zu erreichen, wog schließlich stärker als ihre Abneigung. »Einverstanden«, sagte sie und erhob sich. »Ich hole die Pferde und erwarte Euch am Wäldchen beim Georgskloster«, sagte sie zu Arnold. »Ihr folgt mir in einigem Abstand.«
Arnold nickte.
»Bitte pass auf dich auf, Uta«, flehte Erna und wischte sich eine Träne von der Wange.
»In zehn Tagen sind wir wieder zurück.« Uta umarmte die Freundin fest. »Bete für uns, Erna.«
Als die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, brachen Uta und Arnold vom Wäldchen am Georgskloster nach Gernrode auf.
Bald wurde das Land welliger und die Luft noch kühler. Endlich wieder auf dem Rücken eines Pferdes!, dachte Uta. Seitdem sie mit dem Zeichnen begonnen hatte, war ihr keine Zeit mehr für den morgendlichen Ausritt geblieben.
An diesem ersten Tag ihrer Reise rasteten sie nur, um den Pferden die notwendigen Ruhepausen zu gönnen und sie mit Rüben und Wasser zu versorgen. Während Arnold und die Tiere am Abend erschöpft im Stall eines Bauern einschliefen, fand Uta jedoch keine Ruhe. Ähnlich erging es der kleinen Reisegruppe am zweiten und dritten Tag. Uta verbrachte die Abende jeweils mit den Bauersleuten in deren Stube und lauschte deren Geschichten und Sorgen. Das Heer musste weiter nördlich an Gernrode vorbeigezogen sein, denn weder stöhnten die Menschen hier unter der Bewirtungslast des Heeres, noch waren die Wege derart zertrampelt und die Wälder eingeschlagen, wie dies einst auf dem Heereszug nach Rom der Fall gewesen war.
Am vierten Tag, als es bereits zu dämmern begann, erreichten sie die steinerne Toranlage von Gernrode. Uta bedeutete Arnold abzusitzen, trat vor die Pforte und schlug mit der Hand mehrmals dagegen. Noch immer besaß sie keinen ausgeklügelten
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