Die Herrin der Kathedrale
an Utas letzten Brief, in dem sie diese über ihre Absicht, nach Gernrode zu kommen, unterrichtet hatte. Uta betrachtete die Schwester liebevoll. »Gemeinsam mit Markgraf Hermann, Meister Tassilo, den Gewerkmeistern und fünfhundert Arbeitern bauen wir die Kathedrale der Kämpfer.« Dann merkte sie, dass sie nur von sich sprach und fragte: »Wie geht es dir hier?«
»Ich fühle mich hier gut aufgehoben«, entgegnete Hazecha kaum hörbar, wobei sie mehr zu sich selbst als zu Uta sprach.
»Ist Äbtissin Adelheid nett zu dir?«, fragte Uta. »Ich hatte mit ihr einige Probleme.« Sie lächelte Hazecha an.
»Da haben wir etwas gemeinsam«, erwiderte Hazecha und lächelte ebenfalls. »Aber die Äbtissin weilt nur selten bei uns. Schwester Edda trägt hier die Verantwortung.«
Uta nickte zustimmend. »Schwester Edda war sehr bemüht um mein Wohl. Ich werde sie in meine Gebete mit einschließen.«
Hazecha schaute wieder auf das Buch des Dioskurides und ließ sich neben Uta auf der Bettkante nieder. »Die Asche der gebrannten Flusskrebse in der Gabe von zwei Löffeln«, begann sie leise zu sprechen, »und einem Löffel Enzianwurzel mit Wein drei Tage hindurch getrunken …« Uta fiel in ihre Worte mit ein, so dass sie gemeinsam sprachen: »… hilft kräftig den vom tollen Hunde Gebissenen.« 25
Einen Augenblick lächelten sie einander an. Ermutigt wagte Uta zu fragen: »Du bist immer noch so leidenschaftlich bei der Heilkunde?«
»Schwester Edda hat mich zur Leiterin der Krankenkammer ernannt.«
Uta nickte der kleinen Schwester aufmunternd zu.
»Und die Kranken gesunden so schnell, seitdem ich …«, Hazecha stockte.
Uta horchte auf. »Seitdem du …?«
»Seitdem ich«, Hazecha zögerte, »seitdem ich mein Versprechen halte.«
An den unruhig umherirrenden Augen erkannte Uta, dass Hazecha dieses Versprechen unangenehm war, und sie entschied sich dafür, das Thema zu wechseln. »Esiko erzählte mir, dass er dich hier besucht hätte.«
»Esiko«, murmelte Hazecha, rutschte von der Bettkante und trat an das Fußende der Bettstatt.
Gedankenversunken blickte Uta vor sich hin und flüsterte:
»Er hat mir vorgeworfen, dass der Herrgott die Mutter für meine Vergehen elendiglich hat verrecken lassen.« Das Klappern von Hazechas Zähnen holte Uta in die Gegenwart zurück. »Was ist mit dir?«, fragte sie und streichelte der Schwester die Handgelenke, die unter dem Benediktinerinnengewand hervorkamen und mit Gänsehaut überzogen waren.
»Elendiglich verrecken lassen«, wiederholte Hazecha den Vorwurf des Bruders. »Ich will ihn nie mehr sehen!«
Uta wagte die folgenden Worte kaum auszusprechen: »Hat er dir etwas angetan, als er hier war?«
»Mir?«, fragte Hazecha, ergriff das Bettleinen und zwirbelte es unruhig zwischen den Händen. Dann schüttelte sie den Kopf. Tränen liefen ihr die Wangen hinab. »Ich wünschte«, schluchzte sie und klammerte sich weiter an das Leinen, »er hätte es nicht ihr, sondern mir angetan!«
»Nein! Niemals darf er die Hand gegen dich erheben, hörst du?«, forderte Uta empört. Wie konnte sie der Schwester helfen, und was verbarg sich nur hinter ihren letzten Worten?
Uta war verwirrt und wischte sich die von der Aufregung feuchte Stirn.
Da löste Hazecha wie von einer fremden Macht geleitet auf einmal ihre Hände vom Leinen und schaute Uta an. Mit zitternder Stimme sagte sie: »Esiko hat die Mutter auf dem Gewissen.«
»Du irrst dich!« Vehement schüttelte Uta den Kopf. »Der Vater hat die Mutter ermordet!«
Hazechas Blick erstarrte. »Hat unser Bruder dir das erzählt?« Uta wusste nicht, worauf die Schwester hinauswollte. »Erna hat es mir gesagt.«
»War Erna dabei, als es geschah?«, fragte Hazecha.
»Nein«, entgegnete Uta. »Sie berichtete mir aber von den Schreien der Mutter und dass der Vater gewaltsam gegen sie vorgegangen ist.«
Hazechas Stimme glich einem Windhauch. »Aber ich war dabei.« Uta glaubte plötzlich, keine Luft mehr zu bekommen.
»Du warst dabei, als der Vater die Mutter ermordet hat?« Hazecha schüttelte den Kopf und ergriff Utas Hände. »Ich war dabei, als Esiko die Mutter ermordet hat.«
Uta erstarrte bei diesem Geständnis.
»Ich hatte mich vor Gertrud in der Truhe versteckt, in der die Mutter ihre Gewänder aufzubewahren pflegte«, begann Hazecha flüsternd und schaute an Uta vorbei in die Ferne. »Vielleicht erinnerst du dich noch, wie sehr ich mich immer gefreut habe, wenn Gertrud in der ganzen Burg nach mir suchen musste. Und ich liebte
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